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Der Musikversteher

Der Musikversteher

Titel: Der Musikversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartmut Fladt
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Schiller heißt es in der Nänie : »Auch das Schöne muss sterben« (von Johannes Brahms sehr schön für Chor und Orchester vertont). Mit dem Mord erspart der Held seiner Ophelia das Schicksal des Alterns. Mit diesem Stein des Anstoßes wären wir nunmehr überaus hart beim Kopf angekommen.
Der Kopf
    muss in der üblichen Körpermetaphorik herhalten für die kognitive Seite des Musikhörens und auch des Komponierens, also für alles, was mit Wissen und mit Reflexion zu tun hat; der Kopf hat auf diese Weise eine auseinanderklaffende Wertepolarität: Auf der Negativseite steht »so ’n total verkopftes Zeugs!« Auf der anderen Seite »hach, diese zerebrale Luzidität!« (das sagt man, wenn einem etwas intellektuell äußerst bedeutend vorkommt, aber man keine Ahnung hat, worum es geht). Aber wir wissen ja schon seit einiger Zeit, dass der Kopf für alles verantwortlich ist: für Schönheit, für Tiefe, Intellektualität, Spaß, Schauer, Befremden. Wir hören eine Komposition von Arnold Schönberg, aus seinem Pierrot lunaire (1912), die NACHT: Das Stück hat die ganze Bandbreite. Der Text: »Finstre schwarze Riesenfalter töteten der Sonne Glanz«; Schönberg entfaltet einen melodramatischen Sprechgesang mit kammermusikalischer Begleitung, ungeheuer kunstvoll konstruiert und doch unmittelbar packend und zugleich anrührend.
    – http://www.youtube.com/watch?v=DRNnuio27Rk
    Natürlich könnte ich als Übergipfelung des »Kopfes« noch etwas »Haarsträubendes« bringen. Aber ich möchte mit etwas Allumfassendem aufhören, mit der Haut, denn
Musik kann ganz schön unter die Haut gehen
    Das meint, einerseits, den berühmten »Gänsehauteffekt«, z. B. bei nervenzerfetzenden Musiken in Krimis oder gar Horrorfilmen; andererseits kann uns Musik, bei der wir das Gefühl haben, dass sie uns »unter die Haut geht«, existentiell berühren. Ich glaube, wir alle kennen solche Musik, geben das aber nur ungern preis, gerade weil es so existentiell ist, und wir fürchten die Reaktion von anderen, die sagen könnten: Was, bei dem Scheiß heulst du? – Um an dieser Stelle etwas Unverfängliches vorzuführen, hören/sehen wir uns ein Gänsehaut-Stück an, das Sie alle ganz sicher kennen und das sie ebenso sicher ohne die Bilder wohl nicht wiedererkennen würden: Max Steiners Filmmusik zu KING KONG (1933, http://www.youtube.com/watch?v=Drsofo7J5qA&feature=related ).
    Da ist das unbegreiflich Gewaltige, Gewalttätige, die zerstörerische Urkraft, die in der Lage ist, die Zivilisation zu zersprengen: Das zeigt uns allein schon die Musik. Aber King Kong wird auch zur anrührenden Figur, und letztendlich ist die pervertierte Zivilisation viel barbarischer als er. Aber nicht nur unter die Haut kann Musik gehen, sondern auch auf die Haut. Ich kenne zahlreiche Musikhörer, die sagen, »Wenn ich Heino höre, krieg’ ich Pickel«. Andere aber haben identische Hautreaktionen, wenn sie Stockhausen hören. Es gibt Leute, die schon bei Nennung bestimmter Interpreten zum Cortison greifen, ohne dass nur ein Ton erklungen wäre. Das gilt für den E- wie den U-Sektor; willkürlich nenne ich Lang Lang und Britney Spears. Die Haut ist offensichtlich ein unglaublich sensibles Rezeptionsorgan bzw. speichert Informationen aus dem Gehirn auf ihre unnachahmliche Weise.
    Ähnlich umfassend angelegt wie die Haut ist der »besondere Saft« aus dem Faust , das Blut. Rhythmus im Blut ist sogar ein Filmtitel. »So’n Schwarzer hat doch den Blues im Blut.« Hat er das wirklich oder handelt es sich – wie so oft – um ein schlichtes körpermetaphorisches, sogar rassistisches Klischee? Was istmit der Seele? Wo packen wir die im Kapitel »Körpermetaphorik« hin? Und ausgerechnet mit Nr. 13? Ich möchte das Problem ausklammern. Da springt metaphorisch aber gern ein Teil des Kopfes ein, und das geschieht in den meisten Musikkulturen: Das Auge gilt als »Spiegel der Seele«. Leuchtende, strahlende Augen, stechende Augen, brechende Augen, Augenglänzen, die Augen, die feucht werden, tränenverschleierte Augen: Das alles wird ja nicht nur bei visuellen Phänomenen als reale Reaktion wirksam, sondern ebenso als reales Resultat jeglicher Gefühlsreaktion. Aber es ist zugleich metaphorische Umschreibung von seelischen Regungen.
    Einen tabuisierten Bereich habe ich ebenfalls – bisher – ausgeklammert:
Die Goldene Mitte
    Dabei ist doch bei allen Psycho-Dynamikern und Energetikern der Musikpsychologie wie Ernst Kurth oder Hans Mersmann die Rede von musikalischen

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