Der Musikversteher
Songschreiber aber dachte an die Nöte der Leute und des Trios und ein bisschen auch an sich selbst, und so startete er mit der Parole »Sieben auf einen Strike« eine gewaltige Kampagne, und alle Medien waren voll davon, und es wurde getwittert und facegebookt, dass es nur so seine Art hatte.
Die Lohnsklaven der Monopolisten aber, die witterten auch ihre Chance, und sie sagten sich: »Wenn der schon sieben auf einen Strike bringt, warum wir dann nicht noch viel mehr?« Und mit flächendeckenden Strikes brachten sie die Macht ihrer Herrschaften ordentlich ins Wanken. Mit Schimpf & Schande wurden die alsdann verjagt und mussten als arme Milliardäre auf den Cayman-Inseln ihren Lebensabend fristen.
Und so hatte das Tapfere Schreiberlein die ungleichen Branchen-Riesen-Brüder, den Mister UNIVERSE und den SONNEN sohn, und auch den boshaften dEMI-Zwerg besiegt, und es konnte das mühsame Notenschreiben an den Nagel hängen, denn nun übernahm es all die Riesen- und die Zwergen-Läden, und so war es der musikalische Alleinherrscher im Königreich Pop geworden und hatte selbst keine Konkurrenz mehr zu befürchten. Die guten Leute aber und die Lohnsklaven, die sagten sich: »Das ist ein Elend mit der Freien Marktwirtschaft«, und auch der Nuschler, der Nöler und der Hochdruckstammler mussten gute Miene machen zum bösen Spiel, denn an den Spielregeln war nichts zu deuteln.
Und wenn sie nicht verdorben sind, dann murren sie noch heute.
Rebellion kann also auch in der Popgeschichte dazu führen, dass die siegreichen Rebellen »Kalif an Stelle des Kalifen« werden und schlicht da weitermachen, wo die anderen aufgehört haben. Auch wir machen analytisch da weiter, wo wir begonnen haben: beim so charakteristischen Hochdruck-Presser und -Stammler, vom Festland jetzt hinaus aufs offene Meer gespült.
Herbert Grönemeyer SCHIFFSVERKEHR (2011)
– http://www.youtube.com/watch?v=L-5mKKQHqZ4 oder
www.youtube.com/watch?v=2WaknmnA1FQ
Was ist wirklich neu an diesem »neuen« Grönemeyer? Treffen die vielen blumigen Adjektive und Attribute der Kritiker zu? Was ist »druckvoller«, »clever groovend«, »hart rockend«, »unternehmungslustig«, »Indie-angehaucht«, »beim Glamrock geborgter shuffle«? Mehr als eine Ansammlung von Leerformeln?
Die Intro (0’00’’– 0’15’’) bietet Rock plus Elektronik; die durchgängig gehämmerten ternären Achtel-Repetitionen rufen Franz Schuberts ERLKÖNIG in Erinnerung, den Grönemeyer sicherlich schon begleitet und/oder gesungen hat. Dazu erklingt ein ternärer »Shuffle« (also die charakteristisch »schlürfende« Gangart aus dem Rhythm’n’ Blues: doom-ti doom-ti) als Bassfigur. Das alles gibt es aber auch schon genau so im Orchesterstück DER ZAUBERLEHRLING (nach Goethe) von Paul Dukas, das Herbert Grönemeyer sehr wahrscheinlich, wie viele seiner Hörerinnen und Hörer (und viele der Leser dieses Buches) aus Walt Disneys Zeichentrickadaption – mit Mickey Mouse als Zauberlehrling – aus dem Film Fantasia kennt; eine solche Inspirationsquelle ist meist unbewusst, als selbstverständlich gespeichertes musikalisches Wissen abrufbar – ein Plagiatsprozess ginge sicherlich ins Leere. Aber: die Verbindung ist offensichtlich ( http://www.youtube.com/watch?v=Ait_Fs6UQhQ , die Referenzstelle findet sich ab 2’00’’).
Das passt auch inhaltlich: Aufbruch ins Neue, ins Freie, aber gleichzeitig »die Geister, die ich rief«. In der Strophe (0’07’’– 0’33’’)abwechslungsreiche Harmonik in e-Moll – Herbert singt mit sich selbst in Terzparallelen.
Im Refrain (0’31’’– 0’51’’) und der Hookline ein »fett bollernder« (um die Popkritiker-Sprache zu zitieren) Rhythmus; über der Singstimme erklingt als Kontrapunkt eine elektronisch generierte Frauenstimme, Symbol für Weite und Freiheit. Für Kenner: Es gibt einen, ebenfalls von Schubert inspirierten, Harmoniewechsel von e-Moll nach gis-Moll; das meint, schwer symbolisch, sehr »weit weg«. (Anmerkung, ebenfalls für Kenner: Grönemeyer selbst spricht von »as-Moll«, was »enharmonisch«zwar möglich und korrekt ist, weil es auf dem Klavier identische Tasten hat, was aber musiktheoretisch falsch ist: die iii. Stufe – also die »Dominantparallele« – der Dur-Variante E-Dur ist gis-Moll.)
Die weitere synthetische Soundentfaltung, die Mischung aus »anspruchsvoll« und dennoch »eingängig«, ist deutlich von Depeche Mode inspiriert.
In der 3. Strophe (1’48’’– 2’16’’) prägt sich eine
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