Der Musikversteher
schöne melodische Variante ein: die Reduktion der Stimme auf nur zwei Töne, das Quint-Intervall h und e.
Die Erweiterung des letzten Refrains zur Coda (3’03’’ – Schluss) geschieht mit »großen Worten« (wobei »gib mir ewigen Schnee« zumindest unfreiwillig zweideutig ist), endend mit »und leb mich voran, und ich verlier mich in mir«.
Der Text dieses Songs gerät streckenweise ins Über-Tiefsinnige (Herbert – ein bemühter Teilnehmer am Wettbewerb »Wer schreibt den dunkelsten Text?«). Trotzdem werden auch schöne und eindringliche Bilder und Gedanken festgehalten. Die Musik ist kraftvoll und abwechslungsreich, hat rhythmischen Drive, differenzierte und farbige Harmonik und Sounds, ist trotzdem eingängig, mit historischer Tiefendimension. Was will man mehr.
2. Vom Blues, Rhythm ’n’ Blues und Rock zu Punk und Grunge
In den Siebzigern entstand eine Bewegung, die Rebellion auf ihre Fahnen geschrieben hatte, gegen alles, was etabliert war (oder etabliert schien): Punk schrie, hämmerte, bohrte sich besonders mit den Sex Pistols provozierend in die Gemüter. Das Unbehagen, das da in die Welt hinausgeschrien wurde, artikulierte sich in fast rührenden Dilettantismen: Eine Gitarre stimmen zu können, grenzte schon an »Verrat an der Sache«. Folgen wir analytisch den Spuren einer Kleinen Geschichte der Rebellionen – und was dann aus ihnen wurde: vom Blues über Rhythm’n’ Blues, Rock, Punk zum Grunge.
Duke Ellington CREOLE LOVE CALL (1928 arrangiert von Harry Frommermann, Comedian Harmonists)
– http://www.youtube.com/watch?v=QPmCkmDIRlY
Dieser berühmte Blues bietet zahlreiche exzeptionelle Besonderheiten: Er ist »rein« instrumental, auch wenn diese »Instrumente« virtuos nachahmend gesungen sind. Er nutzt einen im Prinzip gleichbleibenden »Turnaround« mit dem zwölftaktigen Blues-Modell (vgl. S. 97 f.) und entwickelt sich durch feine harmonische Varianten, besonders aber durch die Raffinessen der Instrumentationsvarianten und der immer anders artikulierten Figurationen. Eine besondere Individualisierung Ellingtons ist der sehr lange »Auftakt« zum 1. Takt.
Einfachste Hör-Hilfe: Mit dem Einsatz des Klaviers beginnt Takt 1. Davor aber, mit sehr charakteristischen Quintparallelen (G+d wechselt ab mit B+f ), ein über drei Beats langer Auftakt von Bass und Bariton: langsame ternäre Achtel, als Shufflerhythmus inszeniert, T.1 dann »Ganze Note«, über den Takt ausgehalten.
Das rhythmisch-metrische zweitaktige Modell »langer Auftakt – Schwertakt mit ausgehaltener langer Note« ist grundlegend für das gesamte Arrangement. Mit dem Beginn der Falsettmelodie können Sie dann das zwölftaktige Blues-Modell gut verfolgen.
Die »Harmonists« zaubern vokal die charakteristischen Klangfarben einer Jazz-Band herbei: die Trompete mit »Wah-wah-Dämpfer«, Klarinette mit Glissandi und »wiehernden« Tönen, den weichen Saxophon-Satz, Posaune ohne und mit Dämpfern, Kontrabass – und das alles auch »dirty« intoniert oder sauber, »gerade«, je nach gewünschter Ausdrucksqualität. Eine interpretatorische Sternstunde.
Elvis Presley JAILHOUSE ROCK (1957)
– http://www.youtube.com/watch?v=udVYTQ7GfZk
Wie so viele andere bekannte Stücke wurde dieser »Klassiker« von einem Songwriter-Duo geschrieben, das – völlig zu Unrecht – weitgehend unbekannt geblieben ist: Jerry Leiber (Text) und Mike Stoller (Komposition). Über zwanzig Stücke lieferten sie allein für Elvis ab, darunter auch HOUND DOG und KING CREOLE. Der JAILHOUSE ROCK markiert den perfekten Übergang zum Rhythm ’n’ Blues und zum frühen Rock.
Gleich die Intro bringt eine geniale Variante des langen Duke-Ellington-Auftakts aus dem CREOLE LOVE CALL: Der arglose Mitteleuropäer hat größte Probleme, zu unterscheiden, was hier Beat ist und was Offbeat. In der Gitarre erklingen die Ellington-Frommermann-Quintparallelen, allerdings nicht im Abstand einer kleinen Terz wie dort: D-A geht hier nach Es-B, allerdings noch ergänzt durch Dur-Terzen zum Dreiklang; fis geht zum g Wir hören also einen »chromatical approach« zur Tonika, dem Grundakkord des Songs, Es-Dur, d. h. jeder Ton wandert um einen Halbton aufwärts.
Das geschieht auf dem Offbeat vor der Zählzeit »4«:
Elvis singt perfekte Blue Notes des Blues, beginnend gleich mit der Moll-Terz, die sich charakteristisch »dirty« an der im Akkord gleichzeitig erklingenden Dur-Terz reibt. Typisch für den Übergang vom Rhythm’n’ Blues zum frühen Rock’n’
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