Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Musikversteher

Der Musikversteher

Titel: Der Musikversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartmut Fladt
Vom Netzwerk:
die einfachen, gerechten Anliegen der einfachen »kleinen Leute« klar zu vertreten; im Handwerklichen mit sehr eingeschränkten Mitteln auskommen zu müssen, stilistisch und künstlerisch alle ausgetretenen Pfade weiter zu benutzen, die vorgegebenen Klischees weiter zu tradieren.
    Als Gunter Gabriel 1974 diesen seinen bis heute bekanntesten Song veröffentlichte, war sicherlich Johnny Cash das große Vorbild (einige seiner Stücke sind auch an Bob Dylan angelehnt). Trucker- und Malocherschicksale wurden und werden besungen. Die rotzig-trotzigen Haltungen und Sprachformeln zeigen aber nie die Verweigerungstendenzen und den Zorn von Punk und Grunge, die ja häufig genug die Verhältnisse grundsätzlich in Frage stellen. Hier will ein Sozialpartner seinen bescheidenen Anteil am Kuchen: »Ich will ja keine Schlösser bau’n, nur eben dass es reicht« – und darum: »Hey! Hey! Hey Boß, ich brauch mehr Geld! Oh ja.« So singt mit kerniger Stimme »Knut Wuchtig« (so wird er wirklich genannt), und das Publikum klatscht brav alle Zählzeiten mit.
    Aber die totale Drei-Akkorde-Symmetrie-Klischee-Erfüllung der Strophen wird in der Hookline durchbrochen. Durch die eingeschalteten Hey-hey-Rufe entstehen Asymmetrien; die Stimme verabschiedet sich aus der bequemen Mittellage, geht ins hohe Register, ruft, ja wird aufmüpfig; die Harmonik (erstmals ab 0’50’’, dann ab 1’25’’) schaltet auf »Boss« ein unerwartetesG-Dur (als b VII in der Grundtonart A-Dur) ein, und Ähnliches geschieht wenig später (ab 1’39’’), wenn in der Strophe das I-IV-V-Klischee durch I (A-Dur), b III (C-Dur) und IV (D-Dur) ersetzt wird.
    Diese kleinen Varianten sind durchaus ehrenwert, ändern aber nichts daran, dass hier der brave Mann Rebellion spielt, und die braven Mitklatscher rebellieren gemütlich mit.
Johnny Cash: I WALK THE LINE (1956)
    – http://www.youtube.com/watch?v=k7K4jH7NqUw
    Wenn bei Gunter Gabriel auf die vielen Klischee-Erfüllungen auf ausgetretenen Pfaden hingewiesen wurde, dann muss das hier bei Johnny Cash ebenso geschehen – allerdings (weil es sich um ein Heroendenkmal handelt) auf noch schmerzhaftere Weise: Cash sagt und singt »ich«, als Person, mit seiner Stimm-Farbe und in seinem Text, aber in seiner Musik ist kein »Ich«, nichts Persönliches, nicht einmal kleinste Individualisierungen, wie sie bei Gabriel noch zu hören waren. Dabei wird doch noch zu Beginn, als Intro eine sehr persönliche Geschichte erzählt von Johnny, der so gern eine Snaredrum gehabt hätte (eine kleine Trommel mit Schnarrsaite, wie sie auch der Drummer in seinem Drumset auf dem Video bedient). Doch er konnte sie sich nicht leisten, und darum zog er in seiner Gitarre zwischen Griffbrett und Saiten einen gefalteten Papierstreifen ein, der das gewünschte schnarrend-perkussive Geräusch erzeugte. Das ist anrührend-authentisch.
    Die Hookline »I Walk The Line« bekommt allerdings dann einen musikalischen Doppelsinn: Keinen Fingerbreit weicht Johnny von der Linie des Drei-Akkorde-Klischees ab, und das ist selbstverständlich nicht vom »schwarzen« Blues angekränkelt. Und: Jeder Akkord hat seinen Klischee-Wechselbass. Wir hören einen regelmäßigen Pendelbass zwischen dem jeweiligen Akkord-Grundton und seiner Unterquarte; das bedeutet z. B. für die »drei Akkorde« in A-Dur:
    //: A-E-A-E, d-A-d-A, e-H-e-H, A-E-A-E ://
    Kleiner Trost: Dieses völlig schematische Prinzip wird im Song nicht nur in A-Dur, sondern auch transponiert in E-Dur eingesetzt, was Johnny die Gelegenheit gibt, seine Bassqualitäten bis ins tiefste Stimmregister zu demonstrieren, da, wo fast nur noch heiße Luft kommt.
    Dieses Hohelied der Treue und der Beständigkeit nimmt seine Stärke aus der Gewissheit, dass die eheliche Beziehung der unerschütterliche Fixpunkt bleibt, bei allen Erschütterungen: »Because you’re mine – I walk the line«.
    »Ich bleibe in der Spur«, und wenn es die ausgefahrensten musikalischen Geleise sind, aus denen ich mich weder befreien will noch kann.
    Die nächste Berufungsinstanz für Gunter Gabriel war Bob Dylan. Auch bei ihm hatte ich schon (vgl. S. 157) auf die Probleme seiner ebenfalls klischeebehafteten Musik hingewiesen; untersuchen wir ein weiteres berühmtes Stück.
Bob Dylan THUNDER ON THE MOUNTAIN (2006)
    – http://www.metacafe.com/watch/sy-361585634/bob_dylan_thunder_on_the_mountain_official_music_video/
    Es war bereits die Rede von der Diskrepanz zwischen dem fast nobelpreiswürdigen Text-Autor Dylan und dem oft

Weitere Kostenlose Bücher