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Der Musikversteher

Der Musikversteher

Titel: Der Musikversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartmut Fladt
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glaubten schon, dass sie müssten im Freien übernachten, da sahen sie in der Ferne ein Licht. Wie sie aber näher kamen, konnten sie eine Leuchtschrift erkennen. LUG&TRUG MUSIC PRODUCTIONS , so war da zu lesen. »Diese Räuberbande kennen wir doch«, so sprachen sie untereinander, »da gibt’s bestimmt einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken. Das wäre was für uns.« Da ratschlagten sie, wie sie’s anfangen müssten, um die Räuber hinauszujagen, und endlich fanden sie ein Mittel. Sie machten ihre Musik wie immer; der Alte Country-Esel schrie, der Dumme Drummer-Hund trommelte an Türen und Fenster und grölte, die Cats-Katz kreischte ihre höchsten Töne und der Bunte Schlager-Gockel krähte sich die Seele aus dem Leib. Mit solcher Höllenmusik stürzten sie durch das Fenster in die Stube hinein, dass die Scheiben klirrten.
    Die Räuberbande fuhr bei dem entsetzlichen Geschrei in die Höhe, meinte nichts anders, als die Steuerfahndung oder das BKA kämen herein, floh in größter Furcht in den Wald hinaus und setzte sich in diverse ausländische Steuerparadiese ab. Nun nahmen die vier am Tisch Platz, und sie aßen, als wenn sie vier Wochen hungern sollten.
    Die Musikräuber aber hatten rechtschaffene Gruppen ausgenommen und mit Lizenzen und Urheberrechten jongliert und riskante Finanztransaktionen betrieben und dabei in Saus und Braus gelebt. Bei der Bande nun jobbte als Praktikantin ein junges Mädchen,das hörte auf den Namen Alice. Es war von dem Lärm wach geworden und sah nun mit Verwunderung die vier fremden Schmausenden da sitzen. Und weil Alice aus der Weltliteratur stammte und klug war, stimmte sie darin ein, den neuen Hausherrn bei entsprechend besserer Bezahlung und festem Vertrag einige Wege ins virtuelle Wunderland zu zeigen.
    Der Alte Country-Esel sah’s und staunte, und er sprach zum Dummen Drummer-Hund, zur Cats-Katz und zum Bunten Schlager-Gockel: »Was sollen wir uns noch mit den schweren Instrumenten plagen und sie von Ort zu Ort schleppen. Von nun an wandern wir nur noch virtuell. Das Equipment ist da, und an der Hardware und an der Software soll’s nicht fehlen.«
    Von Stund an blieben sie in ihrem märchenhaften neuen Heim, und sie sangen und sampelten und mixten nach Herzenslust mit Dutzenden von Tracks. Und treulich geleitet von der kundigen Alice, waren sie nur noch auf den Straßen im Netz unterwegs, und sie verdienten sich dabei so manche Goldene Nase.
    Und wenn sie auch gestorben sind, so leben sie noch heute, denn:
    Das Netz vergisst nichts.
Beck HIGH FIVE ( Rock the Catskills  – 1996, aus dem Album Odelay )
    – http://www.youtube.com/watch?v=AB5eN9oCuAs (Dieser Live-Mitschnitt, Stockholm 1996, setzt ab 5’00’’« mit dem Song ein und hat einige Varianten.)
    Im Zeitalter der totalen Digitalisierung ist alles verfügbar, alles per Sampling übernehmbar, woher und von wem auch immer. Das Einzige, was die cleveren Jungs im Hiphop fürchten, ist nicht die sittenstrenge Zensur des Staates und der Medien, sondern das Urheberrecht. Als Gutachter in zahlreichen Urheberrechtsprozessen habe ich da viele schöne Erfahrungen machen dürfen. Beck Hansen ist der geborene Spät-Postmoderne, ist ein ewiger Wunderknabe (egal, wie alt er mittlerweile wirklich ist), der Collage-Musiker; er nutzt gnadenlos alle Möglichkeiten derSampletechnik (sozusagen die ganze Welt wird digitalisiert und musikalisiert); er ist stark beeinflusst von der Ästhetik seines Großvaters, Al Hansen, Fluxuskünstler und Freund von Josef Beuys.
    Vergleicht man seine Collagen mit denen der »Größen« des Rap und des Hiphop, dann liegen (mit Ausnahme wohl von Eminem) qualitativ und in der Klangphantasie Welten dazwischen. Kritiker rühmen ja gern »Meisterwerke« mit »atemberaubenden Klangcollagen« im Sampling und komplexen Producing z. B. vom »Zauberlehrling« Kanye West – ich höre, etwa WHO GON STOP ME (Watch The Throne); ja, das ist zweifellos interessanter als das meiste des Genres, aber ich bin nach kurzer Zeit enttäuscht von der simplen Machart und den stumpfen Wiederholungen. Wie schön, wenn als Überraschung im letzten Viertel des Stücks der gute alte Arpeggiator aus dem Sampling Keyboard einen Moll-Dreiklang auf- und abwärts dudelt; so wird das eigentlich Verbrauchte unversehens zum Neuen.
    Zurück zu Beck und zu HIGH FIVE (ROCK THE CATSKILLS) vom Album Odelay (1996) – die Catskills, die hier »gerockt« werden, sind ein Naherholungsgebiet für reiche New Yorker. Gleitet hier die

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