Der Musikversteher
gehört – das wird bei der Überleitung zu den Mittelstrophen (0’41’’– 0’53’’) anders. Die Gitarre setzt ein – in der sogenannten »dorischen Molltonart«: //: gis-Moll, Cis-Dur, dis-Moll, Cis-Dur ://
Die folgende Mittelstrophe 1 (0’53’’–1’18’’) übernimmt dieses Akkord-Pattern. Durch die Akkorde und den fluffigen Sound ist das »as soft as your pillow«. »War doch alles in Ordnung – hat die Katze deine Zunge erwischt?« »Danke, wofür auch immer. 15 steps – und dann ein jäher Abgrund.«
Die Fortspinnung dieser Mittelstrophe gerät bei 1’38’’ in eine kaputte Bridge mit schiefen Orgel-Synthie-Klängen. Dann folgt die Mittelstrophe 2 (1’57’’– 2’26’’), der bei 2’24’’ ein ähnliches Schicksal widerfährt. Bei 2’29’’ ändert sich die »dorische« IV. Stufe Cis-Dur auch ins »äolische« cis-Moll.
Der Song kehrt zu seinem Anfang zurück, aber als Synthese; Harmonien und Sounds der Mittelstrophen bleiben. Der instrumentale Epilog (3’10’’– 3’48’’) läuft völlig aus dem Ruder; sogar die unermüdliche 5/8-Percussion verstummt.
Das ist ein Song mit sehr ungewöhnlichen Mitteln, die aber attraktiv sind und dem Textinhalt angemessen; nicht die übliche Strophe – Refrain – Folge; bilderreiche, poetische Sprache. Gefühl und Intellekt kommen gleichermaßen zu ihrem Recht.
Khaled AICHA (1996)
– http://www.youtube.com/watch?v=2zSAuYsl4Cs
Grundlage ist die – stilisierte – algerische Rai-Musik, die noch im 19. Jahrhundert einmal wirkliche Volks- und Hirtenmusik war; dazu kommen Einflüsse von Jazz, Blues, Pop – eine Mischung, die in Algerien wegen ihrer kulturpolitischen Brisanz für die Musiker lebensgefährlich wurde und primär im Exil Erfolge hat, so wie AICHA 1996.
In der Intro (0’00’’– 0’18’’) haben wir zunächst ganz normalen Pop, kleine Intro, erzählende Strophe, über einem Harmonie- und Bass-Pattern in g-Moll/B-Dur, das fürs ganze Stück grundlegend ist. Erzählt wird von der Begegnung mit der schönen Aicha – man vermutet eine Reihung von männlichen Schnulzenklischees (Königin von Saba, mit Geschenken überhäufen, Elfenbein und Ebenholz – alles für dich). Das Intro-Pattern bleibt, belebt sich aber mit mehr und mehr Elementen (0’13’’– 0’35’’). Chorus bzw. Refrain (1’19’’– 1’43’’) mit direkter Ansprache: »hör mich, geh nicht, sieh mich an, antworte mir«. Musikalisch ist das eine weitere Strophe, kein Chorus, textlich aber durchaus ein Refrain. Nächste Strophe: Er verspricht ihr den üblichen Himmel auf Erden. Nächster Chorus: musikalisch wieder eher eine weitere Strophe. Dann aber ganz neu: eine vokal-instrumentale Bridge als Mittelteil (2’16’’– 2’52’’). Aicha spricht! »Behalt deine Schätze. Ich will die gleichen Rechte wie du, ich will täglich Respekt.« Das war nicht zu erwarten, und auch die Musik ist neu: endlich wirklich Singweisen des Rai! Nordafrikanische Mikrotöne! Nicht mehr nur die »europäische« temperierte Stimmung!
Wie reagiert er? Er ist so beeindruckt, dass er die nächste Strophe auch mit Rai-Elementen singt, in französischer plus algerischer Sprache (ab 2’52’’). Und das endet mit einer großen textlosen Vokalise.
Zu erleben ist hier eine einfache, aber schöne und intelligent aufgebaute Mischung. Kein Ethnopop-Schmus. Aicha wird nicht mit Männerklischees zugekleistert, sondern als Mensch gleichberechtigt ernst genommen. Auch musikalisch.
5. Stimmung, Selbstbestimmung.
Die Suche nach dem Glück
Nena 99 LUFTBALLONS (1983)
– http://www.youtube.com/watch?v=LsU8fRvTeCI
Ein Synthie-Pop-Spaß-Produkt (1983) der Neuen Deutschen Welle mit frechen Untertönen, Abteilung Berlin/West, deutlich beeinflusst von der Friedensbewegung der frühen Achtziger. Wie wird so etwas zu einem weltweiten Erfolgsstück, das sogar in den USA an den Chart-Spitzen stand? Hat der Populismus negative Auswirkungen auf die Qualität? Einen endgültigen »Ritterschlag« der Popularität erhielt das Stück übrigens, als es in einer Folge der Simpsons-Zeichentrick-Serie von Dad Homer auf Deutsch (!) gesungen wurde.
Die erste Strophe (0’00’’– 0’30’’) klingt wie eine Intro mit Gesang. Auch der Text ist eine Ankündigung: Ich erzähle eine Geschichte von den 99 Luftballos. Aber diese Intro ist zugleich die erste Strophe, auch wenn sie noch völlig auf die rhythmuslosen Harmonien und die Gesangsmelodie beschränkt ist. Sehr
Weitere Kostenlose Bücher