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Der Mythos des Sisyphos

Der Mythos des Sisyphos

Titel: Der Mythos des Sisyphos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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sie frei sind, und diese gute Laune ist so ansteckend!). Selbst wenn man sich von allen moralischen oder sozialen Vorurteilen fernhalten kann, erträgt man sie teilweise, und den besten von ihnen (es gibt gute und schlechte Vorurteile) paßt man sogar sein Leben an. So begreift der absurde Mensch, daß er in Wirklichkeit gar nicht frei war. Um es deutlich auszusprechen: je mehr ich hoffe, je mehr ich mich von einer mir gehörigen Wahrheit, von einer Art zu sein oder zu schaffen, beunruhigen lasse, je mehr ich schließlich mein Leben ordne und dadurch beweise, daß ich ihm einen Sinn unterstelle, um so mehr Schranken schaffe ich mir, in die ich mein Leben einzwänge. Ich mache es wie so viele Beamte des Geistes und des Herzens, die mir nur Abscheu einflößen und die, das sehe ich jetzt genau, nichts anderes tun, als die Freiheit des Menschen ernst zu nehmen.
    Das Absurde klärt mich über diesen Punkt auf: es gibt kein Morgen. Das ist von nun an die Begründung meiner tiefen Freiheit, Ich will hier zwei Vergleiche aufstellen. Zunächst verschaffen die Mystiker sich eine Freiheit. Sie versenken sich in ihren Gott, stimmen seinen Geboten zu und werden dadurch heimlich auf ihre Weise frei. In der freiwillig anerkannten Abhängigkeit entdecken sie eine tiefe Unabhängigkeit. Was aber bedeutet diese Freiheit? Vor allem können wir behaupten: sich selbst gegenüber fühlen sie sich frei - und zwar weniger frei als befreit. Ebenso fühlt der absurde Mensch, der ganz und gar dem Tode zugewandt ist (der hier als die offensichtlichste Absurdität verstanden wird), sich losgelöst von allem, was nicht zu dieser leidenschaftlichen Aufmerksamkeit gehört, die sich in ihm kristallisiert. Er genießt eine Freiheit im Hinblick auf die allgemein anerkannten Gebote. Man sieht hier, daß die von der Existenzphilosophie abgeleiteten Sätze durchaus ihre Gültigkeit behalten. Die Rückkehr zum Bewußtsein, die Flucht aus dem täglichen Schlaf stellen die ersten Schritte der absurden Freiheit dar. Damit aber wird auf die existentielle Predigt abgezielt und mit ihr auf den geistigen Sprung, der im Grunde dem Bewußtsein entschlüpft.Ebenso (das ist mein zweiter Vergleich) gehörten die Sklaven der Antike nicht sich selbst. Aber sie kannten die Freiheit, die darin bestehlt, sich nicht verantwortlich zu fühlen 14 .
    Auch der Tod hat Patrizierhände, die vernichten und doch befreien. Sich in diese grundlose Gewißheit stürzen, sich von nun an dem eigenen Leben gegenüber recht fremd fühlen, um es größer werden zu lassen und ohne die Kurzsichtigkeit eines Verliebten zu durchmessen - darin liegt das Prinzip einer Befreiung. Diese neue Unabhängigkeit ist zeitlich begrenzt wie jede Handlungsfreiheit. Sie stellt keinen Wechsel auf die Ewigkeit aus. Aber sie ersetzt die Illusionen der Freiheit, die alle vor dem Tode haltmachen. Die göttliche Verfügungsmacht des zum Tode Verurteilten, vor dem sich einmal im frühesten Morgenlicht die Gefängnistore öffnen, diese unglaubliche Interesselosigkeit allem gegenüber, außer der reinen Flamme des Lebens - ,man spürt es genau: der Tod und das Absurde sind hier die Prinzipien der einzig vernünftigen Freiheit, jener Freiheit, deren Wirklichkeit ein menschliches Herz erfahren kann. Das ist eine zweite Schlußfolgerung. Der absurde Mensch ahnt so ein glühendheißes und eiskaltes, durchsichtiges und begrenztes Universum, in dem nichts möglich, aber alles gegeben ist und jenseits dessen der Zusammenbruch und das Nichts liegen. Nun kann er sich dazu entschließen, das Leben in einem solchen Universum anzuerkennen und aus ihm seine Kraft zu gewinnen, seinen Verzicht auf Hoffnung und die eigensinnige Bekundung eines Lebens ohne Trost.

Drei Schlußfolgerungen

    So leite ich vom Absurden drei Schlußfolgerungen ab: meine Auflehnung, meine Freiheit und meine Leidenschaft. Durch das bloße Spiel des Bewußtseins verwandle ich in eine Lebensregel, was eine Aufforderung zum Tode war - und ich lehne den Selbstmord ab. Ich kenne zweifellos die dumpfe Resonanz, die heutzutage üblich ist. Aber ich sage mir das eine: sie ist notwendig. Wenn NIETZSCHE sagt: , dann erläutert er damit die Regel einer

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