Der Nachbar
Frensham nickte. »Dann holen Sie es doch hier herein, ja? Ich bin Ihrer Meinung, die Polizei sollte wissen, was hier läuft, aber ich möchte gern selbst mit den Leuten sprechen, und ich kann meinen Patienten nicht allein lassen.«
Franek nickte beifällig. »Das ist gut. Wir sprechen alle. Dann erfährt die Polizei die Wahrheit.«
Sie sahen beide der Frau nach, als diese aus dem Zimmer ging.
»Warum hält sie ihre Hand so?«, fragte Franek. »Was fehlt ihr denn?«
»Das geht Sie einen Dreck an«, sagte Sophie schroff. »Und wenn Sie zu ihr auch nur ein Wort darüber sagen, verkleb ich Ihnen das Maul mit soviel Heftpflaster, dass es Ihnen die ganze Haut vom Gesicht reißt, wenn sie's wieder runtermachen.«
Er lachte kichernd. »Wer ist denn hier der Sadist?«
»Bin ich mit Wonne, wenn's um Sie geht. Für meinen Geschmack kann man Ihnen gar nicht genug Schmerzen zufügen.«
»Ha!«, sagte er mit neuerlichem Kichern. »Jetzt, wo mir die Hände gebunden sind, sind Sie stark... aber vorhin, als Franek die Oberhand hatte, waren sie sooo klein.«
»Aber Sie waren natürlich unheimlich mutig, wie Sie da durch die Gärten gestolpert sind, was?«, höhnte sie und versuchte, seinen Akzent nachzuahmen. »Franek griegt geine Luft... Franek hat Ankst... Franek ist ein Feigling.«
»Sie sind viel schlimmer.« Er schraubte seine Stimme in piepsende Höhen. »Nicholas, helfen Sie mir... der böse Mann hat mich angefasst... bitte, bitte... Nicholas...«
Sophie war drauf und dran, in die nächste Runde einzusteigen, als ihr bewusst wurde, dass in diesem Spiel, das sie da mit diesem Menschen spielte, eine grauenvolle Intimität lag. Als führte sie ein Wortgefecht mit Bob.
Aber du hast gesagt... aber ich hab gesagt...
Es war, als hätte dieser grässliche alte Mann eine Seite von ihr freigesetzt, die jahrelang in einem Kasten eingesperrt gewesen war, eine Seite, die fähig war, mit Leidenschaft zu hassen – und, schlimmer noch, den Hass zu genießen. Was war los mit ihr? Der Kerl hatte versucht sie zu vergewaltigen, und sie benahm sich, als kannte sie ihn seit Jahren, redete mit ihm wie sie mit anderen Menschen nicht reden konnte – und fühlte sich auch noch wohl dabei!
»Sie verwechseln mich mit Ihrer Frau«, sagte sie kalt. »Ich kann mir vorstellen, dass sie viele Male nach Nicholas gerufen hat, bevor Sie sie getötet haben.«
Seine gute Laune verschwand wie die Sonne hinter einer Wolke. »Sie erzählen schon wieder Lügen.«
»Dann beweisen Sie das mal der Polizei, Mr Hollis. Ich werde nämlich dafür sorgen, dass man Sie nach ihr befragt.«
»Franek ist nicht der Böse«, fuhr er sie wütend an. »Mich haben sie nicht vernommen – mich haben sie nicht auf die Liste mit den Sexualverbrechern gesetzt... ich bin nicht schuld an dem ganzen Aufstand hier«
»Die Tatsache, dass Ihr Sohn gerichtlich verurteilt wurde und Sie nicht, macht Sie nicht zum Unschuldigen«, entgegnete sie ihm.
»Seien Sie endlich still!«, fauchte er.
»Es macht Sie um so schuldiger«, fuhr sie fort, ohne auf ihn zu achten. »Sie sind die übelste Sorte Pädophiler; einer der sich an seinem eigenen Kind vergeht, um seine kranke Lust zu befriedigen. Zuerst haben Sie mit einer unglaublichen Grausamkeit Ihre Frau misshandelt, dann haben Sie das Gleiche mit Ihrem Sohn getan, weil Sie genau wussten, dass er in seiner Angst, beide Eltern zu verlieren, keinem Menschen etwas verraten würde. Sie haben ihn zu dem
gemacht
, was er ist, Mr Hollis. Seine Verbrechen sind die, die Sie ihm beigebracht haben.«
Er wandte sich ab. »Immer geben Sie mir die Schuld. Aber haben Sie mal gefragt, was Franek geschehen ist, als er ein kleiner Junge war? Glauben Sie denn, ich habe die Grausamkeit erfunden?«
Das war eine berechtigte Frage, aber Sophies Bereitschaft zur Anteilnahme war auf einem Tiefpunkt angelangt. »Warum haben Sie dann den Teufelskreis nicht durchbrochen?«, fragte sie ungerührt. »Sie sagen dauernd, dass Sie nicht dumm sind, aber selbst ein Schwachsinniger kann sich denken, dass Muster von Grausamkeit und Gewalt nicht aufgelöst werden, indem man sie wiederholt. Es ist wirklich kein Wunder, dass Sie unter Panikanfällen leiden. Sie mussten ja Ihr Leben lang die Konsequenzen ihres Tuns fürchten.« Sie hielt einen Moment inne. »Das Einzige, was Sie in einundsiebzig Lebensjahren erreicht haben, ist, dass Sie zum Brennpunkt des Hasses von Tausenden Menschen geworden sind. Nur dafür wird man Sie in Erinnerung behalten. War es das, was Sie
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