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Der Nachbar

Titel: Der Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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erklärt, dann tun sie, was ich sage. Alle kennen mich – alle mögen mich. Am meisten mögen mich die Männer. Ich bin eine sehr hübsche Frau. Sie findet Franek nett, sagte sie eben vor der Dame des Hauses... Sie sind unglaublich, Franek. Franek sagte zu ihr, Sie sind sehr selbstgefällig, junge Dame, und da wurde sie zornig – sie hat eine Vase in Stücke geschlagen und Franek mit den Scherben das Gesicht zerschnitten... Sie hat auch versucht, Milosz gegen seinen Vater aufzubringen. Die ganze Zeit hat sie mit Milosz gesprochen... schau mich an, hat sie gesagt... beachte mich gefälligst. Aber Milosz war nicht interessiert... er sagte zu ihr...«
    Bob hatte unter Hochspannung gestanden, seit Harry ihn angerufen hatte. Jetzt, da aller Druck von ihm abfiel, schoss das freigesetzte Adrenalin in einem Schwall durch seine Blutbahn. Er beugte sich vor und schob seinen Mund bis auf fünf Zentimeter an das Mikrofon der Telefonanlage heran. »Ich bin hier«, sagte er mit einer Stimme, die knirschte wie Kies.
    Lange Pause. »Wer ist da?«
    »Sophies Mann.«
    »Wo ist der Polizist?«
    »Wir sind ganz unter uns, Sie krankes Arschloch.«
    »Mit Ihnen rede ich nicht.«
    Bob lachte rau. »Und wie Sie reden werden, wenn ich Sie mir vornehme«, versetzte er. »Sie werden gar nicht mehr aufhören zu reden. Sehen Sie, ich mach das nämlich so – ich schnapp mir das Hirn eines Mannes und dreh das Innere nach außen. Was ich in Ihrem finden werde, kann ich mir lebhaft vorstellen. Einen heulenden kleinen Scheißer, der solche Angst vor seinem Papa hatte, dass er ins Bett machte, als er das erste Mal mit einer Frau schlafen wollte. Hab ich Recht?«
    Das Schweigen wurde bedrückend. Jenny Monroe wollte etwas sagen, doch Bob legte einen Finger auf seine Lippen.
    »Ich will den Polizisten. Geben Sie mir den Polizisten.«
    »Ich bin noch hier, Mr Zelowski«, sagte Ken Hewitt.
    »Haben Sie das gehört? Der Mann hat Franek gedroht.«
    »Das ist wahrscheinlich Ihr Gewissen«, sagte der junge Polizist gelassen. »Hier hat niemand etwas gehört.«
Polizei von Devon und Cornwall
    >Ermittlungen im Fall des vermissten Kindes Amy Rogerson/Biddulph
    >ERSUCHEN UM SOFORTIGE HAUSDURCHSUCHUNG
    >Anwesen Rose Cottage, Lower Burton, Devon
    >Genehmigung erhalten
    >Umfassende Einzelheiten folgen

27

Im Haus Humbert Street 23
    Wie Sophie wurde Gaynor später immer wieder von blutigen Träumen heimgesucht. Jimmy auch. Traumatisiert von den Geschehnissen jenes Tages, pflegten sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf hochzufahren, schweißgebadet, die weit aufgerissenen Augen mit starrem Blick in die Dunkelheit gerichtet, mit zitternden Fingern nach dem Lichtschalter tastend. Alle lehnten sie eine Therapie ab; Sophie, weil sie Bob hatte, der ihr mit viel Geduld beistand; Gaynor, weil sie es nicht ausgehalten hätte, Schmerz und Schuldgefühle jenes Tages noch einmal zu durchleben; und Jimmy, weil er sie immer wieder von neuem durchleben musste, um die verlorenen Menschenleben nicht zu vergessen.
    Ihrem Unbehagen zum Trotz wagte Gaynor es schließlich, sich an das Haus Nummer 23 heranzupirschen. Es irritierte sie, dass die Hintertür zur Küche mit Gewalt aufgebrochen worden war, aber Jimmy wäre da sicher nicht rausgekommen, sagte sie sich, wenn dies nicht einer der Notausgänge wäre, und sie suchte ja nichts weiter als einen Durchgang nach vorn. Wie vorher Jimmy, als er zu ihr gekommen war.
    Im Vorbeigehen warf sie einen schnellen Blick durchs Fenster des hinteren Zimmers und sah, dass niemand dort war, genau wie in der Küche. Sie tappte durch Wasser, das auf dem Fußboden stand, und blieb an der Tür stehen.
    »Hallo? Ist hier jemand?«, rief sie laut. »Ich möchte zur Humbert Street durch. Ich suche meine Kinder.«
    Totenstille antwortete ihr. Wenn sich jemand im Haus aufhielt, war er offenbar darauf bedacht, sich nicht bemerkbar zu machen.
    Sie versuchte ihr Glück an der Tür zum hinteren Zimmer, aber es war abgesperrt; sie blickte die Treppe hinauf, machte dann vor der offenen Tür des Wohnzimmers halt. Mit einem einzigen Blick registrierte sie alles: das eingeschlagene Fenster; die wehenden Vorhänge; zertrümmerte Möbel; umgestoßene Lampen; Ziegel und Steine auf dem Boden. Gleichzeitig nahm sie den beißenden Qualm eines mit Wasser gelöschten Feuers wahr.
    Ihr erster Impuls trieb sie zur Flucht, aber vor dem Fenster erkannte sie, unverwechselbar, die hochgewachsene Gestalt ihrer Tochter, die mit dem Rücken zum Haus stand. An ihrer Seite war Colin.

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