Der Nachbar
dass die Gemeindeverwaltung durch die Aufnahme von amtsbekannten Kinderschändern in der Siedlung, die dort lebenden Kinder gefährdete. Es war ein klarer Fall. Man musste die Behörden zwingen, die Perversen anderswo unterzubringen, und so für die Sicherheit der Kinder sorgen.
Aber es fehlte ihnen an Phantasie. Sie kamen gar nicht auf den Gedanken, dass ihnen die Führung heimlich entrissen werden oder ein Protestmarsch zum Krieg führen könnte. Doch nicht im hellen Sonnenschein an einem der heißesten Tage des Jahres!
Die Polizei hätte ihnen allerdings sagen können, dass es gerade dann schnell zu Straßenschlachten kommt, wenn große Hitze die Menschen zur Weißglut treibt.
An diesem Samstag, auf einer Bank draußen vor dem Coop, unterrichtete Melanie ihre Mutter darüber, wo und wann die Demonstranten sich am Nachmittag treffen würden. »Es sind hauptsächlich Frauen und junge Leute«, sagte sie, »aber ich schätze, es werden so um die Hundert sein, da werden die Bullen schon aufmerken. Jimmy kommt auch, und wenn wir beide früh genug da sind, um ein bisschen für Ordnung zu sorgen, müsste eigentlich alles prima klappen.«
Sie bemerkte, dass ihre Mutter nur mit halbem Ohr zuhörte und sagte streng: »Das ist wichtig, Mum. Wenn wir beide nicht rechtzeitig vor der Schule sind, um die Leute auf Trab zu bringen, wird die ganze Geschichte im Sand verlaufen. Du weißt doch, wie die hier sind. Die verlieren das Interesse und verziehen sich ins Pub, wenn keiner ihnen sagt, was Sache ist.«
»Ja, ja, du kannst dich auf mich verlassen, ich komme, Darling.« Gaynor seufzte. »Ich mach mir nur um unseren Colin Sorgen. Der treibt sich zurzeit wieder dauernd mit diesem Wesley Barber rum, obwohl er weiß, dass ich den nicht ausstehen kann.«
»Ja, Jimmy mag ihn auch nicht. Er sagt, Wesley ist ein Irrer und bringt die Schwarzen in Verruf, weil er Tag und Nacht total zugedröhnt ist. Er ist voll auf Methadon. Da musst du echt energisch werden, Mum. Jimmy behauptet, dass er auch auf Acid ist, und wenn Col erst mal damit anfängt, ist er richtig im Arsch.«
»O Gott!« Beunruhigt fuhr Gaynor sich mit der Hand durch die Haare. »Was soll ich denn tun, Schatz? Gestern Nacht war er bis drei Uhr morgens mit diesem fürchterlichen Kevin Charteris unterwegs. Die haben was vor, das spür ich genau, aber ich weiß nicht, was.«
»Die haben das getan, was sie am Freitagabend immer tun«, meinte Melanie. »Die waren in der Kneipe und haben sich voll laufen lassen. Kev ist lang nicht so schlimm wie Wesley.«
Gaynor schüttelte den Kopf. »Col war stocknüchtern. Ich hab auf ihn gewartet und war stinksauer, als er endlich kam – er weiß genau, dass er in den Knast wandert, wenn er wieder beim Stehlen erwischt wird –, aber meinst du vielleicht, er hätte mir gesagt, wo er war? Nichts da, angeschrien hat er mich und sich drüber aufgeregt, dass ich dauernd was zu Keifen hätte.«
Melanie dachte an ihren vierzehnjährigen Bruder. »Vielleicht war er mit einem Mädchen im Bett«, sagte sie kichernd. »Über so was würde kein Junge mit seiner Mutter reden.«
Aber Gaynor lachte nicht. »Ich glaube, er kutschiert in geklauten Autos durch die Gegend«, sagte sie beklommen. »Er hat nach Benzin gerochen. Er muss in einem Auto gesessen haben. Ich hab ihn richtig in die Mangel genommen und ihm gesagt, dass er sich eines Tages noch totfahren wird. Aber er hat nur gesagt, ich soll meine Nase in meinen eigenen Kram stecken und ist in seinem Zimmer verschwunden.«
»Vielleicht sollte ich mal mit ihm reden.«
»Ach ja, würdest du das tun, Schatz? Auf dich hört er doch wenigstens. Sag einfach, ich möchte nicht, dass ihm was passiert – da wär's mir noch lieber, sie stecken ihn ins Gefängnis. Wenigstens hat er dann noch eine Chance, erwachsen zu werden und was aus sich zu machen.«
»Ich red gleich morgen mit ihm«, versprach Melanie. »Sobald wir die Perversen los sind.«
Pinder Street, Bassindale
Constable Hanson konnte gar nicht umhin, das Graffito zu bemerken, als sie in die Pinder Street einbog. In Neonfarben, Gelb- und Pinktönen, waren die Worte –
Tod den Bullen
– auf eine kahle Mauer am Ende der Häuserreihe geschrieben, und darunter prangte ein Hakenkreuz, das aussah, als bestünde es aus vier miteinander verschränkten Ochsenfüßen. Am Tag zuvor war dieses Machwerk noch nicht da gewesen, und sie zwang sich, es mit sachlicher Distanz zu betrachten. Ganz sicher war es nicht speziell auf sie gemünzt.
Vor dem Haus
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