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Der Nachbar

Titel: Der Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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eines der vorderen Zimmer bringen, kann ich es dort vom Fenster aus tun. Vielleicht kann ich die Leute dazu bewegen, die Polizei zu holen.«
    »Die Polizei ist doch schuld an dem Ganzen!« Erbost presste Franek die Worte zwischen keuchenden Atemstößen hervor. »Die haben uns den ganzen Ärger aufgehalst, als sie zu uns kamen, um nach dem verschwundenen kleinen Mädchen zu fragen.« Er überließ es seinem Sohn, den Rest des Schranks ins Zimmer zu bugsieren und ließ sich mit ein paar leisen Worten auf Polnisch erschöpft an die Wand sinken.
    »Sie müssen ihm helfen.« Nicholas sprach, während er die Tür zustieß und den Schrank davor schob. »Er bekommt keine Luft, sagt er.«
    Sophie konzentrierte sich auf die Reinigung der Wunde an ihrem Arm. Sie brauchte Zeit zum Überlegen. Ein verschwundenes kleines Mädchen? Amy Biddulph?
    »Bitte, Dr. Morrison. Er hätte sich nicht so anstrengen dürfen. Der Schrank war viel zu schwer für ihn.«
    Sie warf einen Blick zu Franek hinüber, der sie unter halb gesenkten Lidern hervor beobachtete. »Nein«, sagte sie entschieden. »Ihr Vater hat seine Rechte als mein Patient eingebüßt, als er mich mit Gewalt hier festgehalten hat. Es ist daher mein gutes Recht, meine eigene Sicherheit über seine zu stellen.«
    Nicholas versuchte es mit einem entschuldigenden Lächeln und sagte, während er weitere Möbelstücke vor den Schrank schob, um in der Mitte des Zimmers einen freien Raum zu schaffen: »Er hatte Angst, Sie würden gehen und uns allein zurücklassen. Sonst hätte er das nicht getan.«
    »Das ist keine Entschuldigung.«
    Nicholas, der jetzt seinen Vater zur Zimmermitte führte und ihm zum Boden hinunterhalf, wo er sich an einige Sesselpolster gelehnt niedersetzte, nickte zustimmend. »Wenn er Angst hat, ist er nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen.« Mit überraschend zarter Hand strich er dem alten Mann das Haar aus dem Gesicht. »Das geht uns doch allen so.«
    Ganz so unrecht hat er damit nicht, dachte Sophie, die sich ihres kopflosen Rückzugs den Korridor hinunter erinnerte. Wenn sie ihre fünf Sinne beisammen gehabt hätte, wäre sie in die andere Richtung gelaufen und hätte ihr Heil in der Flucht zur Straße hingesucht. Sicherlich hatte sie doch draußen mehr Verbündete als hier drinnen? Hatte sie hier drinnen überhaupt welche? »Ihr Vater hat mich mit seinen dreckigen Pfoten begrapscht und mit seinem erigierten Penis bedrängt«, sagte sie kalt und direkt. »Nennen Sie das, ‘keinen klaren Gedanken fassen können’?«
    Er seufzte, schien eher resigniert als überrascht. »Es tut mir Leid«, sagte er unangemessen.
    Sie erwartete eine Erklärung, aber mehr als eine Entschuldigung würde sie offenbar nicht bekommen. Fürs Erste jedenfalls.
    Von unten vernahmen sie gedämpft, aber erkennbar, das Klirren splitternden Glases.
Glebe Road, Bassindale
    Jimmy ging langsamer, als er das Ende der Glebe Road erreichte und in die Bassindale Row North einbog. Zu seiner Rechten befand sich eine der vier Straßensperren, mit betrunkenen Jugendlichen bemannt, die mit lautem Spott die Beamten in den Streifenwagen auf der anderen Seite verhöhnten. Zu seiner Linken lag, um die hundert Meter entfernt, die Humbert Street, an deren Einmündung sich Rudel aufgeregter Kinder tummelten. Du lieber Gott! Wenn er versuchte, in Mels Wohnung zu gelangen, würde er in den Krieg gegen die Pädophilen reingezogen, und wenn er versuchte, aus der Row zu verschwinden, würde er in den Krieg gegen die Bullen reingezogen werden.
    Was sollte er tun? Erst einmal zog er sich in die Glebe Road zurück und lehnte sich an eine Mauer, um zu verschnaufen. Auf der anderen Straßenseite bemerkte er eine alte Frau, die ihn von ihrem Fenster aus beobachtete. Und an einem anderen zwei Kinder. Augen überall! Es veranlasste ihn, sich zu fragen, ob jemand ihn beobachtet hatte, als er wie ein mit Steroiden voll getankter Ben Johnson aus dem Hochhaus gesprintet war. Er musste ja wie das schlechte Gewissen in Person gewirkt haben. Scheiße! Er hätte nicht so total den Kopf verlieren dürfen. Er erinnerte sich, dass er den Aufzugknopf berührt hatte. In dem Müll auf dem Boden lag ein Zigarettenstummel mit seiner DNS. Das reichte dicke, um ihn wegen versuchten Mordes zu kassieren.
    Wild fluchend zog er sein Handy heraus und klappte es auf. Wütend, weil er gar nicht tun wollte, was er gleich tun würde. Weil er es sich nicht leisten konnte. Seine Kontakte würden ihn sämtlich fallen lassen wie eine heiße

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