Der Nachtelf (German Edition)
dem Haus gehen und jeder hielte sie für eine freie Bürgerin. Niemand würde erwarten, dass sie Dienst am Königreich tat. Sie könnte einer einfachen Arbeit nachgehen und ein sorgenfreies Leben führen. Und wer weiß, vielleicht heiratete sie einen wohlhabenden Bürgersohn und müsste nie wieder arbeiten. Sie hatte die begehrlichen Blicke der jungen Burschen im Alabasterviertel und in Caramia durchaus bemerkt.
Heute Abend, auf der Achthundertjahrfeier, wäre eine wunderbare Gelegenheit, um das Leben zu genießen und jemanden kennenzulernen. Oder um ihr Leben Valenuru zu schenken.
Der Ring lag schwer auf ihrer Haut.
Ein Funkeln stach ihr ins Auge. Die immer höher steigende Sonne warf ihre Strahlen nun genau auf den Schemel mit ihren Sachen. Ganz oben auf dem Stapel lag der goldene Affe, den ihr Heidugun geschenkt hatte, und glitzerte.
Valenurus Duft lag noch ganz leicht im Raum.
Dadalore sah zur Fensternische, durch die Straßenlärm herein drang. Massen von Menschen, die eben jetzt zum Markt eilten, um frische Mangos zu kaufen. Menschen, die vor der Zisterne einen Schwatz hielten, weil sie den Nachbarn bestimmt schon seit gestern nicht mehr gesehen hatten. Und Menschen, die in irgendeinem Hinterhof ihr Hab und Gut bei einem Hundekampf verwetteten.
Sie legte den Sklavenring wieder um. Das Schloss schnappte mit einem Geräusch ein, das nach Endgültigkeit klang.
Es war Zeit.
Die Capitalobservatorin erhob sich und kleidete sich an. Sie tat das mit sehr viel Bedacht, denn auch in ihren Kleidungsstücken war noch ein wenig der Essenz Valenurus verblieben. Zum Schluss legte sie das Amulett um und trug es offen über dem Rock.
Da fiel es ihr auf.
Sie trug ihre Uniform wie stets, der Ring war wieder an seinem Platz und das Amulett um ihren Hals.
Nur die Geheimakte fehlte.
Sie sah die Dinge mit seltener Klarheit. Die Dienststelle strahlte weiß im Sonnenlicht und als Dadalore eintrat, fühlte sie die Kühle des Gebäudes, als wäre es das erste Mal in ihrem Leben.
»Den Göttern sei gedankt, da seid Ihr ja endlich«, rief Bamulaus ihr entgegen.
»Ja, da bin ich«, sagte Dadalore.
»Wir haben ermittelt«, verkündete der Capitalprotektor, »aber es war niemand hier, der die Fäden in die Hand genommen hätte.«
Dadalore deutete auf ihr Dienstzimmer.
Sie trat ein und nahm an ihrem Schreibtisch Platz. Aus dem Augenwinkel nahm sie den riesigen Pergamentstapel wahr, der sich hier auftürmte. »Wo ist Valenuru?«
Bamulaus zuckte hilflos mit den Achseln. »Heute nicht zum Dienst erschienen.«
Dadalore nickte. Sie musste darüber nachdenken.
»Eure Capitalobservatorin, nachdem Ihr heute Nacht ...« Er suchte mit den Augen den Raum ab, als ob das geeignete Wort sich hinter einer Topfpflanze versteckte. » ...unpässlich wart, und der Herr Capitaloberobservator sich um Eure Pflege kümmerte, nun, da fiel es mir als dem dienstältesten Capitalprotektor zu, die Ermittlungen zu leiten.«
»Ja«, sagte Dadalore nur. Dabei versuchte sie an seiner Miene abzulesen, was er verbarg. War ihm zuzutrauen, dass er die Gelegenheit genutzt hatte, um die Akte wieder zu entwenden?
»Ich ließ die unterirdische Anlage erkunden, die Ihr aufgespürt hattet.«
Dadalore hob eine Braue.
»Ein riesiges System von Gängen und Räumen, die wir nicht annähernd erschließen konnten, zumal wir vor vielen verriegelten Türen und toten Gangenden standen. Wir vermuten dort weitere magische Sicherungen und Geheimtüren.«
»Das klingt nach einer Aufgabe für Generationen«, stellte Dadalore fest. »Wir müssen bis heute Abend Klarheit haben. So dumm können die Verschwörer gar nicht sein, dass sie nicht während der Achthundertjahrfeier zuschlagen.«
Bamulaus schüttelte den Kopf. »Ich bitte Euch. Die ganze Innenstadt ist durch den Prinzipalprotektor gesichert worden. Die Furuja-Priesterschaft trägt überall Blutbiester auf, an denen kein unerwünschter Eindringling vorbei kommt.«
»Bei Sagard und Kalunga, Bamulaus, liest du die Geheimpergamente eigentlich nicht, bevor du sie verschwinden lässt?«
Sie beobachtete mit Adleraugen, wie er auf den Vorwurf reagierte. Er machte einen halben Schritt rückwärts, jetzt hatte er sich wieder gefangen. »Ich verstehe. Ihr rechnet damit, dass die Bedrohung aus dem Palast kommt?«
»Die Priesterschaft, die Palastwache, wir dürfen niemandem trauen!« Nicht einmal dir.
»Gegen eine Gefahr, die von überall kommen könnte, kann man sich nicht schützen.«
»Richtig, Bamulaus, und deswegen
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