Der Nachtelf (German Edition)
schnell.
Der Tag
Vom Aufstieg und Untergang eines Reiches
Nackt
Die Welt hob und senkte sich im Rhythmus eines riesigen Herzschlags. Von ferne drang ein Rauschen heran, das an die Gestade eines fremden Ozeans erinnerte. Irmhobibs guter Geist war hier. Er schwebte heran, eine Silberplatte mit Früchten balancierend.
Manchmal zerriss der Schleier und Gesichter tanzten am Himmel. Besorgte Gesichter. Gesichter, die sie kennen müsste und die dennoch verschwanden, bevor Namen sich manifestieren konnten.
Da stiegen blaue Nebel aus dem Wasser und hüllten sie gnädig ein.
Die Welt pulsierte wieder. Eine gewaltige Einheit aus Heranrauschen und Fortspülen, ein Fluss, der nie versiegte und jeden mit sich zog.
Sie war wieder in den Lehrstunden zum Stockfechten. Die anderen Kinder bestaunten, wie schnell sie das Rohr durch die Luft wirbeln konnte. Sie lachte, sie lachte aus voller Seele, weil die Waffe so schnell war, die Münder der Sklaven so weit offen standen und die Welt schön war. Der große Fluss kam und spülte ihr Lachen fort.
Sie war in der Halle. Alle knieten auf dem polierten Marmor. Nackte helle und dunkle Haut war um sie. Selbst die Sklavenringe waren frisch poliert. Vorne sangen die Schamanen. Annanaka war dort. Sie grinste böse und griff in den Kupferkessel mit den Losen. »Dadalore-Was-soll-das-Dunkle-nachts« echote es durch den Raum.
Name.
Ja, das war ihr Name, den die Götter ihr gegeben hatten. Die Jungen und Mädchen um sie herum waren Lastsklaven, Schreibsklaven und Fächersklaven geworden. Aber sie hatte das entscheidende Los gezogen. Sie war Capitalobservatorin. Sie zerfloss vor Glück und das immerwährende Rauschen nahm sie mit sich.
Das große Herz schlug und schlug. Es presste sie alle vorwärts, glückliche Schwimmer und Ertrinkende, die heftig um sich schlugen.
Sie wurde angespült. Auf einem Felsen lag sie, erschöpft und mit bleischweren Gliedern. Sie hob einmal kurz den Kopf und sah, dass es nur ein Riff war, irgendwo im Meer. Sie war allein, ohne Wasserschlauch oder Brotbeutel. Selbst Annanakas Kichern wirkte fern und leblos. Warum hatten die anderen Kinder sie nicht mehr lieb? Wahrscheinlich sollte man sie einfach vergessen. Das Meer brandete an den Felsen und weiße Gischt nässte ihre Füße. Sie könnte sich einfach den Felsen hinunter gleiten lassen und im endlosen Meer aufgehen. Die Strömung würde sie früher oder später mitten in das Herz hinein tragen.
Sie drehte sich auf den Rücken, die todesstarren Glieder mühsam herum zwingend. Der Himmel. Sie lag auf dem Rücken und sah hinauf, die nassen Haare um sich ausgebreitet. Und der Himmel sah zurück. Da verstand Dadalore. Dieses kleine Todeseiland, kahl und menschenleer. Das war nicht irgendein Felsen im Meer, das war ihr Felsen. Vielleicht würde sie hier sterben, aber wenn es so war, würde sie eben hier sterben, auf ihrem Felsen. Sie lachte, erst leise, kaum hörbar vor der Brandung, mit der Zeit immer lauter und lauter, bis ihr Lachen Annanaka übertönte und eins wurde mit dem großen Rauschen.
Nun hüllten sie blaue Nebel ein und legten sich wie Tonnen von Erde auf ihre Lider.
Sie trieb in dem großen Strom und alles war dunkel.
Sanfte Finger strichen ihr über das Haar.
Ihre Lider wurden wieder leichter und flatterten. Ein Raum, von einer einzelnen Kerze kaum erhellt. Ihre Sklavenunterkunft. Ein dunkler Schatten, der sie mit roten Augen ansah.
»Valenuru?« Ihre Stimme klang nach Schlaf und Morgenschwere, aber es war draußen noch dunkel.
Die Antwort war ein Streicheln auf ihrer Wange.
Fetzen ihrer Erinnerung stiegen auf. Das Gewölbe. Einsamkeit. Der Angriff des Ruptu.
»Was ist geschehen?«
»Du warst ein wenig erschöpft.«
Sie fasste sich an den Kopf. Ihre Haare standen in alle Richtungen ab. Was auch immer sich ereignet hatte, es musste direkt auf ihrem Kopf explodiert sein. Sie stellte fest, dass sie unter einer dünnen Decke nackt war. »Oh nein, ich muss furchtbar aussehen.«
»Du siehst wunderschön aus.«
Es dauerte ein wenig, bis die Worte durch den seltsamen Kokon aus Benommenheit gedrungen waren, der sie umgab. Sie lächelte verlegen. »Nein, ich sehe furchtbar aus. Bringt mir einen Spiegel, nein, besser, Ihr lasst mich allein.«
»Was immer du möchtest«, sagte Valenuru, unternahm aber nichts dergleichen.
Warum wirkte alles so weit entfernt von ihr? Außerdem schienen die Dinge langsamer abzulaufen als
Weitere Kostenlose Bücher