Der Nachtelf (German Edition)
zu erneuern.«
»Ja«, erwiderte der König in einer eigentümlichen Schläfrigkeit, »der magische Schutz. Ich danke Euch.«
»Und nun sorgt Euch nicht, Ihr wisst doch, wie es mit den Göttern ist: Sie heißen unkonventionelle Maßnahmen gut, wenn es nur heiligen Zwecken dient.«
»Heiligen Zwecken dient«, wiederholte der König schwerfällig.
Dadalore fuhr sich durch die Haare. Sie waren blutverkrustet. Sie musste etwas unternehmen, aber was? Verzweifelt sah sie sich um, als läge ihr die Lösung aller Probleme direkt vor Augen.
Da sah sie, dass das Standbild sie anstarrte. Beinahe hätte sie laut aufgeschrien. Die Ruptu waren echt! Und sie hatten mit angesehen, wie sie – eine gesuchte Assassinin – sich auf den König zu geschlichen hatte.
Starr vor Schreck stand sie vor dem Ungetüm. Der Blick der gelben Augen lag auf ihr, geschlitzte Pupillen musterten sie kalt. Die Echse rührte sich nicht.
Dadalore machte einen Schritt rückwärts.
Keine Reaktion.
Noch einen Schritt.
Statuengleich starrte der Ruptu sie an.
Dadalore wirbelte herum und lief, so schnell sie konnte.
Die Achthundertjahrfeier
Das Volk Kamboburgs strömte nur so auf den König-Jokabi-Platz. Reiche Bürger in riesigen Sänften, Bauern aus den äußeren Vierteln mit Palmhüten und einer Schar von Kindern um sich, Sklaven aus allen Dienststellen und Amtsstuben in ihren Festtagsuniformen, vornehme Bürgerinnen mit modischen Zwergwarzenschweinen auf dem Arm und Straßenkinder, die auf reiche Spenden hofften, mochten sie freiwillig oder auch unfreiwillig sein.
Dadalore hatte keine Zeit mehr gefunden, sich umzuziehen oder auch nur zu waschen. Sie hatte auch keinerlei Gelegenheit mehr gehabt, zur Dienststelle zu laufen und die Capitalprotektoren zu organisieren.
Es war ein einziger, riesiger Alptraum.
Der Platz war völlig überfüllt. An den Seiten aufgebaute, mehrstöckige Holzpodeste waren bis obenhin mit drängelnden und quetschenden Leibern gefüllt, die mit Macht gegen die ächzenden Holzgeländer gedrückt wurden. Hier und dort mühten sich Priester oder Palastwachen darum, Ordnung in das Geschehen zu bringen, und wurden der Massen doch nicht Herr.
Zerbrochene Weinkrüge lagen auf dem Boden und machten jeden Schritt zu einem Wagnis. Dadalore zweifelte nicht daran, dass der Inhalt dieser Krüge schon längst die Köpfe der Menge benebelte. Der König hatte den Genuss von Alkohol bei der Achthundertjahrfeier ausdrücklich untersagt, aber das Wort des Königs hatte in solchen Dingen nicht mehr das Gewicht früherer Tage.
Die Capitalobservatorin wurde wild hin und her geschubst, weil irgendwo in dem Gedränge eine Rangelei ausgebrochen war. Sie musste raus aus diesem Hexenkessel. Sie suchte die Umgebung ab, aber da war nur ein Meer von Köpfen und Schultern. Vereinzelt blitzten dazwischen die Helme der Palastwachen auf, doch sie wurden genau so hin und her geschleudert. Ein Podest wäre vielleicht das Sinnvollste. Von oben könnte sie sich einen guten Überblick über die Lage verschaffen. Sie musste unbedingt jeden Anschein von Aggressivität vermeiden, nun, da sie wusste, dass der Feind nur darauf wartete, sie als Assassine zu überführen. Auf frischer Tat getötet, das könnte ihnen so passen.
Unter heftigem Gebrauch ihrer Ellenbogen verschaffte sich Dadalore den Respekt, den ihrer Uniform in der entgrenzten Menge offenbar niemand mehr entgegenbrachte. Sie kämpfte sich durch die Masse. Für einen Augenblick sah sie irgendwo das Gesicht Tafariwards aufblitzen, bevor es in der Menge wieder unterging.
Sie bekam eine Holzverstrebung des Podestes zu fassen und zog sich die Stufen hinauf. Hier oben wurde das Gedränge nicht weniger, aber Dadalore schlug sich nur umso verbissener durch. Hinauf zum dritten Stock. Die oberste Plattform befand sich bestimmt zweieinhalb Mannslängen über dem Boden. Dennoch wirkte das ganze Gerüst winzig in unmittelbarer Nachbarschaft des Riesenruptu, der über allem thronte.
Dadalore schob sich bis direkt an das Geländer, um einen guten Blick zu haben.
Der Anblick war atemberaubend. Das halbe Imperium schien auf den Beinen zu sein. Ein Meer von Köpfen wogte unter ihr dahin, hier und dort ragten Ruptu aus der Menge, deren bloßes Erscheinen ihren Herren Luft verschaffte. Am Ende des Platzes war eine riesige Bühne aufgebaut, hinter einer Absperrung, die von einer Doppelreihe Rittari bewacht wurde, den Elitesoldaten der Legionen. Auf der Bühne selbst war eine fantastische Landschaft
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