Der Nachtelf (German Edition)
noch an zu weinen.« Dadalore schüttelte den Kopf betont langsam und nutzte die Gelegenheit, ein kurzes Bild der Umgebung zu gewinnen. Soldaten, wohin man blickte. »Na endlich, jetzt hilft Shaguana ihr.«
»Ich weiß nicht ...«, sagte Ghalikan. »Besonders hilfreich wirkte diese Ohrfeige auf mich nicht.«
Auf der Bühne wurde nun die mythische Hochzeit von Teutomar und Shaguana vollzogen: Die Tierfelle flogen fort und ehe man sich versah, trugen die beiden prächtige Festtagsgewänder. Babamine stand daneben und wunderte sich vermutlich, warum sie bereits auf der Welt war. Priester aller vier Götter und Dämonen betraten die Bühne, um die Hochzeit zu besiegeln. Das Paar sah sich verliebt in die Augen, die Diener von Himmel und Abgrund tanzten in etwas unorthodoxer Auslegung des Messezeremoniells wie wild um sie herum und Trommeln und Hörner schraubten sich zu einem nunmehr gemeinsamen Finale empor.
Dadalore sah unruhig hin und her. Sie könnte Heidugun zurufen, dass Ghalikan zu den Verschwörern gehöre. Aber ob der Oberste Staatsschamane schnell genug begreifen würde, war fraglich. Außerdem würde ihr das Patmelu und die Rittari nicht vom Hals schaffen. Und Ghalikans Griff war unerbittlich.
Da wurde ihre Aufmerksamkeit mit Macht auf die Bühne zurückgezogen. Die Erste Königliche Hofzeremonienmeisterin stand dort und kündigte mit schriller Stimme und ausladenden Gesten die Rede an, auf die das ganze Imperium angeblich seit achthundert Jahren gewartet hatte: »Und nun hören wir den höchsten Günstling der Götter, den obersten Diener der Dämonen, unser aller Königliche Hoheit, Ihre Majestät Gowofred-Wer-wagt-zu-zaudern-Wer-wagt-zu-zögern!«
Dadalore erschrak bis ins Mark.
Sie musste fort! Wenn sie dem König zu nahe kam, war es um sie geschehen. Und vermutlich würde der Zauber den König ebenfalls töten, schließlich würde es die Menge irritieren, wenn das Attentat erst nach dem Tod der Attentäterin erfolgte.
Sie musste so schnell wie möglich fort.
Dadalore begann, sich unter Ghalikans Griff zu winden.
König Gowofred betrat die Bühne am gegenüberliegenden Ende des Platzes. Er trug das traditionelle Gewand der Jenseitigen in Weiß und Schwarz, dazu einen Umhang, der ihm eine volle Mannslänge hinterher schleifte. Der Monarch schritt den vorderen Bühnenrand entlang und erteilte mit kreisförmigen Gesten dem Volk den Sonnensegen.
Das war es.
Das war der Plan.
Der König würde hier am Bühnenrand unmittelbar an ihr vorüber gehen. Er würde ihr auf weniger als fünf Schritte nahe kommen. Eine magische Explosion würde sie beide töten. Man würde ihr das Attentat in die Schuhe schieben. Das göttliche Los würde manipuliert werden und der Kopf der Verschwörung bestieg den Thron.
Sie musste hier weg!
Dadalore verstärkte ihre Bemühungen, doch Ghalikans tote Hand ließ nicht locker. »Was denn, meine Teure, fühlt Ihr Euch an meiner Seite nicht mehr wohl?« Ein lauernder Blick traf sie.
Der König hatte die Mitte der Bühne erreicht, verteilte den Sonnensegen. Die Menge jubelte.
»Ich müsste einmal kurz den Abort aufsuchen«, rief Dadalore und versuchte, dabei so unschuldig wie möglich auszusehen.
»Ich bitte Euch«, schrie Ghalikan zurück, »Ihr wollt doch nicht das Beste verpassen.«
Der König hatte drei Viertel der Strecke zurückgelegt, kam unaufhaltsam näher. Die Menge tobte.
Tyrtalla hilf! Sie musste etwas unternehmen.
»Heidugun«, brüllte sie aus Leibeskräften. »Ein Anschlag!« Der Schamane blickte verzückt dem nahenden König entgegen. Verflucht, der Lärm war zu groß.
»Heidugun«, kreischte sie.
Der Priester lächelte den Monarchen an.
Der König war fast bei ihr. Ihre letzte Chance.
Dadalore schlug Ghalikan mit der Faust gegen den Schädel, riss zugleich so fest sie konnte an der Knochenhand und brüllte: »Eure Majestät, ein Anschlag! Lauft!«
Die Menge toste.
Ghalikan packte ihren anderen Arm auch noch. Gleichzeitig verstärkte sich der Griff der Klaue so ungeheuerlich, dass Dadalore vor Schmerz aufschrie. Sie sank in die Knie, Tränen schossen ihr in die Augen.
Es war zu spät.
König Gowofred stand nun unmittelbar oberhalb von ihr am Bühnenrand. Die traditionelle Perlmaske glitzerte. Er erteilte den Segen. Und ging weiter.
Ungläubig starrte ihm Dadalore nach.
Sie war nicht tot.
Niemand war explodiert.
Ihr fragender Blick fiel auf Ghalikan. Und jetzt sah sie in seinem Gesicht das Begreifen. Seine Augenbraue schraubte sich nach oben. Er
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