Der Nachtschwärmer
die junge Frau das Lenkrad mit beiden Händen so fest wie möglich. Hätte sie sich in einem Spiegel gesehen, dann wäre ihr der verbissene Gesichtsausdruck aufgefallen. Ein verzogener Mund, starre Augen und immer wieder die zischenden Geräusche, wenn sie Atem holte. Sie musste weiter, sie musste kämpfen, sie durfte nicht mehr an das denken, was hinter ihr lag, und sie sah das Ziel in der Ferne.
Es waren die wenigen Lichter der Ortschaft, die in der Dunkelheit leuchteten wie zu Boden gefallene Sterne. Die Disco war ebenfalls zu erkennen, wenn sie genau hinschaute. Sie stand abseits, sie leuchtete, aber sie war zugleich von einem farbigen Kranz umgeben, der sie wie ein fernes, zur Erde gesunkenes Raumschiff aussehen ließ.
Wendy machte sich keine Gedanken darüber, wie es weitergehen sollte. Sie würde ihre Meldung machen, denn die Polizei musste schließlich erfahren, was passiert war. Die Beamten würden nachforschen. Sie würden sich wieder Mühe geben und schließlich kapitulieren, weil sie keinen Mörder finden würden.
Und wieder würden sich die Geschichten der Menschen verdichten, wenn sie darüber redeten. Für viele hatte der Teufel einen Boten geschickt, um die Menschen für ihre Sünden schon jetzt büßen zu lassen.
Man griff sie nicht an. Wendy fuhr einfach weiter, aber der Druck war nicht geringer geworden. Noch immer dachte sie daran, dass die Angst der eigentliche Motor war. Sie merkte auch kaum, dass sie weinte. Nur hin und wieder verschleierte die Tränenspur ihren Blick. Dann musste sie eine Hand vom Lenkrad lösen und sich rasch über die Augen wischen.
Der Wagen fuhr. Der Wagen sprang. Immer wieder erhielt er Schläge, wenn die Strecke zu schlecht war. Wendy hörte die Geräusche an den Seiten und unter dem Boden. Dort schienen grausame Geister zu hocken, die mit ihren Fäusten gegen das Metall schlugen.
HUSCH!
Ein Schrei! Für einen Moment ließ Wendy das Lenkrad los, so sehr hatte sie sich erschreckt. Das Auto rollte weiter, ohne dass es gelenkt wurde, und dabei geriet es gefährlich ins Schlingern.
Wendy riss sich zusammen und fasste wieder nach dem Steuer.
Sie bremste auch. Das Schlittern machte ihr nichts aus. Wichtig war, dass der Ford nicht gegen einen zu hohen Stein prallte, denn hier gab es keine Straße. Nicht mal einen Pfad, der durch Reifenspuren gebildet worden wäre.
Sie wollte den Ort erreichen, aber sie dachte auch an das verdammte Geräusch, das sie gehört hatte.
Er war noch da!
Die Nacht gehörte ihm, und nicht grundlos wurde er der Nachtschwärmer genannt. Er würde erst aufhören, wenn er sein Ziel erreicht hatte, und das sah für sie böse aus.
Wendy fuhr jetzt nicht mehr so schnell. Immer wieder bremste sie. Sie bewegte ihre Augen und hatte sich auch etwas geduckt, um nach oben zu schielen, denn sie wollte einen Teil des Himmels sehen.
HUSCH!
Diesmal schrie sie, als sie das Geräusch hörte, und sie sah, dass etwas rechts des Fahrzeugs weghuschte. Es glitt in die Höhe. Es war wahnsinnig schnell und deshalb nicht zu identifizieren. Es war ein großer Schatten, der nicht zu fangen war und mit der Dunkeln verschmolz.
Der zweite Angriff hatte Wendy durcheinander gebracht, und sie reagierte so, wie sie es nicht hätte tun sollen. Sie trat auf die Bremse, der Wagen wurde langsamer, rutschte über den Boden hinweg, und dann verstummte der Motor.
Schräg blieb der Ford stehen!
Wendy tat nichts. In diesem Augenblick war sie einfach nur ein erstarrtes, menschliches Bündel Angst, das nicht in der Lage war, sich zu wehren.
Es war so still geworden, dass sich Wendy beinahe vor ihrem eigenen Atem erschreckte. Sie schaute sich um, ohne etwas Richtiges zu sehen. Der Gedanke, hier in einer Todeszelle zu hocken, kam ihr in den Sinn. Das Leben konnte so verdammt grausam sein, und diese Grausamkeit hatte jetzt auch sie erreicht.
Nach einigen Sekunden hatte sich Wendy wieder so weit gefangen, dass sie einen Blick in die sie umgebende Wirklichkeit riskieren konnte. Sie war schon eine Strecke gefahren, stand aber schräg, und sie musste den Kopf zur Seite drehen, um in die Richtung zu schauen, in der ihr Ziel lag.
Die Lichter schimmerten noch immer in der Dunkelheit, aber sie schienen kaum näher gerückt zu sein. Natürlich täuschte das. Trotzdem trug es nicht eben dazu bei, ihren Widerstandswillen zu fördern.
Es war so verdammt still geworden. Wendy Baxter saß mit eingezogenen Schultern und eingezogenem Kopf hinter dem Steuer und traute sich nicht, etwas zu
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