Der Nachtschwärmer
tun.
Das letzte Geräusch hatte sie fertig gemacht. Sie hatte es einfach nicht wahrhaben wollen und es deshalb aus ihrem Gedächtnis gestrichen, aber es war schneller zurückgekehrt, als sie gedacht hatte.
Und jetzt war alles still!
Wendy atmete tief durch. Sie hatte das Gefühl, in ihrem Brustkasten säße eine Sprengladung, die jeden Augenblick explodieren konnte. Es war so einfach, den Zündschlüssel umzudrehen und weiterzufahren, und doch tat sie es nicht. Etwas hinderte sie daran. Es konnte die Angst sein, die eine Fessel um sie gelegt hatte.
HUSCH!
Da war es wieder. Urplötzlich und diesmal auch lauter, weil die Fahrgeräusche weggefallen waren. Aber es blieb nicht dabei, denn Wendy schrie und ballte zuckend ihre Hände zu Fäusten, als sie einen Moment später den Aufschlag auf dem Dach hörte.
Er war gelandet!
Gott, nein!, schoss es ihr durch den Kopf. Das kann nicht wahr sein!
Er hockte auf dem Dach. Er würde sie bald angreifen. Wenn sie jetzt losfuhr und ein paar Kurven drehte, bestand möglicherweise die Chance, ihn vom Dach fegen zu können. Aber das war und blieb Theorie, denn Wendy traute sich in diesen fürchterlichen Augenblicken einfach nichts zu und wartete weiterhin ab.
Fremde Geräusche hörte sie nicht mehr. Aber er war noch da. Das Kratzen auf dem Dach verriet ihn. Wendy musste an die Krallen denken, die nach ihrem Freund gegriffen hatten, und die gleichen Krallen waren jetzt dabei, sich über ihrem Kopf zu bewegen.
Ihre Sinne waren überspannt. Deshalb bekam sie auch genau mit, wohin sich die Gestalt auf dem Autodach bewegte. Sie kroch nach vorn, und das passierte nicht lautlos, denn immer wieder hörte sie dieses verdammte Kratzen.
Ein Schatten erschien in der Scheibenmitte. Zuerst sah sie nicht, was er bedeutete, doch wenig später wurde ihr bewusst, dass sich für sie ein Albtraum erfüllt hatte.
Die Bestie hatte sich mit dem Kopf zuerst nach vorn gebeugt und schaute jetzt durch die Frontscheibe in den Wagen hinein, direkt auf die vor Angst starre Wendy Baxter.
Sie konnte plötzlich nicht mehr atmen. Zu schrecklich war die Fratze, die ihr bleich entgegenschimmerte. Sie sah keinen Menschen, sie sah aber auch kein Tier. Dieses Gesicht erfüllte beides. Es gehörte zu einem Teil einem Menschen und zum anderen einem Tier, das sie allerdings nicht identifizieren konnte.
Wolf, Gorilla, Katze. Da vereinigte sich alles Mögliche. Sie sah die Haare, die wie ein Fell den Kopf umwuchsen, und sie sah das Maul, das weit aufgerissen und grässlich verzogen war. Die hellen Zahnreihen blinkten ihr entgegen, wobei sie erkannte, dass zwei dieser Zähne im Oberkiefer länger waren als die anderen.
Wendy wusste, dass dies etwas zu bedeuten hatte. Es war ein Zeichen für etwas Bestimmtes, doch die Angst hatte das Denken lahm gelegt. Sie kam einfach nicht auf die Lösung.
Er war da.
Er grinste auch weiterhin.
Er streckte seine Zunge aus dem Maul. Sie glitt wie ein langer feuchter Lappen über die Außenseite der Scheibe hinweg und hinterließ dort eine widerliche Schleimspur.
Wendy Baxter konnte nichts tun. Ihr kam nicht mal mehr der Gedanke an Flucht. Sie saß im Auto wie festgenagelt und dachte an nichts. Nicht mal an ihre Angst.
Es waren mehrere junge Frauen verschwunden. Alle in ihrem Alter, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie die Nächste auf der Liste sein könnte.
Genau das hatte ausgereicht, um Wendy einen inneren Stoß zu verpassen. Sie musste weg aus dieser verdammten Falle. Die Tür war nicht verschlossen. Ein kurzer Druck, und sie würde sie aufgehebelt haben. Nein, das war nicht zu machen. Der Nachtschwärmer war immer stärker als sie. So schnell wie er flog, konnte sie nicht laufen, und so starb auch diese Hoffnung.
Mit einer geschmeidigen Rolle löste sich die Albtraum-Gestalt von der Scheibe und blieb flach auf der Motorhaube liegen. Eine Sekunde später sprang sie hoch, drehte sich nach rechts, rollte seitlich über die Haube hinweg und stand plötzlich vor der Fahrertür, die von einer Pranke mit einem Ruck aufgerissen wurde.
Was dann geschah, lief irgendwie an der jungen Frau vorbei. Sie bekam mit, wie die Pranken die Tür aufrissen und nach ihr griffen. Angeschnallt war Wendy schon, doch das störte die Bestie nicht. Auch nicht die Schreie der jungen Frau.
Der Horror war da!
Er fasste nach ihr. Die Pranken zerfetzten den Gurt, dann war Wendy ihr Opfer, denn sie wurde gepackt und aus dem Wagen gezerrt. Sie konnte nicht mal schreien. Es hätte sie auch niemand
Weitere Kostenlose Bücher