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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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ist unmöglich.
    Leon riss die gesamte Kleiderstange samt Bügeln und Kleidern heraus. Dann trat er mit seinem Fuß die Rückwand aus der Verleimung, bis sie nach hinten abfiel und wie von Geisterhand bewegt zur Seite kippte.
    Statt der Tresortür, die Leon erwartete, glotzte er auf ein erst kürzlich zugemauertes Loch in der Wand. Der Mörtel, mit dem die Steine verfugt waren, war noch feucht, Leon konnte mit den Fingern Abdrücke in der grauen Masse hinterlassen.
    »Hol mich hier raus«, forderte Natalie jetzt, auf einmal dem Weinen nahe.
    Ihr Flehen war wie ein eisiger Regenguss. Leon trat einen Schritt zurück und stieß mit dem Fuß gegen das Brecheisen, mit dem er vorhin gegen seinen Spiegel geschlagen hatte.
    Aber VORHIN war doch Traum. Und JETZT ist Realität, oder etwa nicht?
    »Leon. Befrei mich, bevor es zu spät ist!«
    Natalies Verzweiflung war wie das Brüllen eines Babys. Unmöglich, es zu ignorieren. Leon war von seinen Urinstinkten gesteuert, als er zum Brecheisen griff und es zwischen den Fugen ansetzte.
    »Ich komme«, waren die letzten Worte, die er sagte, bevor es ihm gelang, einen Ansatzpunkt zwischen den Mauersteinen zu finden. Schnell, viel zu schnell, lösten sich erst Krümel, dann Splitter und schließlich der gesamte Stein aus der Wand.
    »Beeil dich. Bevor du wieder einschläfst«, hörte er Natalie noch rufen, dann kam das Wasser.
    Zuerst quoll nur ein dunkler Tropfen aus dem Gemäuer, dann sprudelte es heraus, als wäre ein Ventil geplatzt, und noch bevor Leon die Hand auf das Loch in der Wand hätte pressen können, schoss eine Fontäne hervor, mit einem solchen Druck, dass sich weitere Steine lösten, bis schließlich die gesamte Mauer über Leon zusammenbrach.
    Er wollte schreien, atmete aber nur kaltes, nach Dreck schmeckendes Wasser ein, das er nicht aushusten konnte, weil der Druck auf seinem Oberkörper immer stärker wurde. Irgendetwas zog ihn hinab in die Tiefe, drohte ihn in einer feuchten Umarmung zu ersticken.
    Leon schlug um sich, strampelte mit Armen und Beinen, fand unter sich einen Halt, stieß sich mit aller Kraft davon ab und schaffte es, mit dem Kopf eine zähflüssige Oberfläche zu durchbrechen. Er riss die Augen auf, sog die Luft ein und hustete. Und mit den Versuchen seines Körpers, die überschüssige Flüssigkeit aus der Luftröhre zu pressen, war der Traum vorbei.

30.
    L eon wünschte, er wäre noch immer in seiner Schlaflähmung gefangen, aus der er sich gerade befreit hatte.
    Denn dann hätte er nicht in seiner eigenen Badewanne gelegen, vollständig bekleidet, von einer nach Eisen riechenden Flüssigkeit bedeckt, mit einem entfernten Wummern im Ohr; nicht wissend, ob die rote Färbung auf eine seiner Wunden zurückzuführen war oder von dem anderen reglosen Lebewesen herrührte, das sich mit ihm in der Wanne befand.
    Was ist das?
    Zuerst hatte er es mit der Hand berührt und sich dabei kein ekelerregenderes Gefühl vorstellen können als jenes, das er empfunden hatte, als seine Finger unter Wasser in dem weichen Körper versanken. Er war alle harmlosen Erklärungen durchgegangen: ein Schwamm, ein Handtuch, eine Puppe, doch er konnte sich nichts vormachen. Der Pelz hatte einmal zu einem lebenden Organismus gehört, ebenso wie die schlauchartigen Innereien, die um ihn herum an der Wasseroberfläche schwammen.
    Leon sprang würgend aus dem Wasser und verhedderte sich dabei in den Gedärmen, an denen er das Tier ungewollt über den Wannenrand riss.
    Alba?
    Die tote Katze schlug mit einem satten Plumps auf den Fliesen auf, die entseelten Augen auf Leon gerichtet. Die Schnauze war zu einem letzten Fauchen geöffnet, das ihr in der Kehle steckengeblieben schien.
    Auch Leon öffnete den Mund, weil ihm übel geworden wäre, hätte er noch länger durch die Nase atmen müssen.
    Der Blutgeruch war genauso intensiv wie das Wummern harter Faustschläge auf Holz, das Leon schon seit einer geraumen Weile vom Flur her hörte. Es war nicht das einzige Geräusch, mit dem jemand vor der Haustür auf sich aufmerksam zu machen versuchte. Der ungeduldige Gast bediente zusätzlich die Türklingel, weshalb es in der gesamten Wohnung durchdringend schellte.
    Ich dachte, sie ist kaputt?, fragte sich Leon, der Hysterie ebenso nahe wie einem Nervenzusammenbruch.
    Meine misshandelte Frau ist vor mir geflohen, ich kann nicht mehr zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden, wache mit einer toten Katze in der Badewanne wieder auf – und mache mir Gedanken um meine Türklingel?
    Er

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