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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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stechender Schmerz durch die Fußsohle schnitt.
    »Was hast du?«, fragte Sven auf Leons wildes Fluchen hin.
    »Tut mir leid, ich bin in etwas getreten.«
    Leon beugte sich nach unten und konnte nicht glauben, was er in Händen hielt.
    Zuletzt hatte er so eine ähnliche Vorrichtung vor langen Jahren während der Therapiesitzungen mit Dr. Volwarth tragen müssen.
    »Jedenfalls standest du komplett neben dir«, fuhr Sven fort, und seine Worte wurden von einem langsam anschwellenden Tinnitus in Leons Ohren untermalt; ein sicheres Zeichen, dass sich eine Migräne anbahnte.
    Oder Schlimmeres.
    Mit dem Stirnband, das er gerade auf dem Fußboden gefunden hatte, hielt er einen weiteren Beweis in den Händen, dass seine nachtaktiven Phasen wieder ausgebrochen waren.
    Wann habe ich mir diese Kamera besorgt?
    Ihre Linse war verschmutzt, ein Kabel hing lose an den Seiten, und überhaupt wirkte die bewegungsaktive Kopfkamera etwas ungelenk konstruiert, als wäre sie unter großer Eile angefertigt worden. Wie von jemandem, der nicht sehr konzentriert gewesen war, weil er unter massivem Stress gestanden hatte.
    Oder nicht bei Bewusstsein gewesen war.
    »Du wolltest mir sogar ein Video zeigen, das du angeblich im Schlaf von dir und deiner Suche nach Natalie gefilmt hast«, sagte Sven.
    Ein Video?
    Mit dem Tinnitus wuchs in Leon ein irreales, schizophrenes Gefühl. Auf der einen Seite ergab alles, was Sven sagte, einen Sinn. Auf der anderen Seite war es, als spräche sein Freund in einer fremden Sprache zu ihm.
    Er klemmte sich den Hörer zwischen Kinn und Schulter, um das Stirnband mit beiden Händen untersuchen zu können. Wenn Sven von einem Video sprach, musste es auch ein Wiedergabesystem geben.
    Leon wollte schon ins Arbeitszimmer zurückgehen, um seinen Rechner hochzufahren, als er sich an das Wort auf seiner linken Handfläche erinnerte.
    Laptop.
    In der Wohnung gab es nur einen einzigen tragbaren Computer.
    »Bist du noch dran?«, hörte er Sven fragen.
    Ohne eine Antwort zu geben, ging er ins Schlafzimmer.
    Leon schob den Stuhl zur Seite und nahm den sorgfältig zusammengelegten, aber völlig verdreckten Blaumann von der Tischfläche.
    Was zum Teufel …
    Er hatte erwartet, Natalies Laptop darunter zu finden. Womit er nicht gerechnet hatte, war der dort eingesteckte USB-Stick, der rhythmisch blinkte.
    Leon klappte den Monitor hoch und zuckte zusammen, als der Computer mit einem hellen Summen aus dem Ruhemodus erwachte.
    »Hey, Leon. Wieso sagst du nichts mehr?«
    Weil mir die Worte fehlen. Mehr als das. Ich fürchte, mir fehlt ein Teil meiner selbst.
    Auf dem Bildschirm hatte sich ein Wiedergabefenster für Videodateien aufgebaut, und mit einem Mal fror Leon nicht mehr. Sein gesamter Körper war taub, unempfindlich für äußere Reize.
    Er ballte die rechte Faust, presste sich die Fingernägel fest in den Handballen, und noch bevor er sich die Frage beantwortet hatte, ob er es wagen sollte, hatte er die Hand schon ausgestreckt und den Zeiger der Maus auf PLAY bewegt.
    »Was ist denn auf einmal los bei dir?«, fragte Sven ängstlich.
    Nichts. Nichts ist los.
    Das Videofile startete nicht, stattdessen war ein Eingabefeld erschienen, das mit einem Passwort gefüttert werden wollte.
    Verdammt, wie soll ich mich daran erinnern, was ich im Schlaf für ein Passwort gewählt habe?
    Leon hielt erschrocken die Luft an. Drehte langsam die Fläche der linken Hand nach außen. Starrte auf die beiden durch einen Punkt getrennten Zahlenpaare.
    07.05
    »Ich ruf dich gleich wieder an«, sagte er zu Sven und legte auf. Dann tippte er das Datum des Autounfalls in den Laptop.
    Unmittelbar darauf startete die Wiedergabe.

37.
    Z unächst gab es nichts als dunkle Flecken zu sehen, die in verschiedenen Schattierungen über den Bildschirm zuckten. Dann, zusammen mit den rasselnden Atemgeräuschen, die plötzlich an den Lautsprechern zerrten, wurde es heller. Lichtfäden zogen wie die Tentakel einer Qualle durchs Bild.
    Die Kontraste schärften sich, und mehr und mehr wurden die Umrisse eines Raumes deutlich, der Leon an sein Schlafzimmer erinnerte. Zumindest das große Bett, das von schräg unten, aus der Perspektive eines auf dem Fußboden sitzenden Menschen gefilmt war, schien mit dem identisch zu sein, auf dem er vor kurzem aufgewacht war.
    Auf dem Monitor gab es einen Ruck, und während das Kamerabild die Beine eines Tisches einfing, hörte Leon ein metallisches Klappern wie das einer Kette – was ihn an etwas erinnerte, das er zunächst

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