Der Nachtzirkus
haben wir ein paar einleitende Fragen. Ihr Name, Miss?«
»Celia Bowen.«
Marco schreibt ihn in sein Notizbuch.
»Und Ihr Künstlername?«
»Ich habe keinen Künstlernamen«, sagt Celia. Marco notiert das ebenfalls.
»Wo sind Sie bisher aufgetreten?«
»Ich bin noch nie öffentlich aufgetreten.«
An diesem Punkt will Chandresh eingreifen, aber Mme. Padva hält ihn zurück.
»Und bei wem haben Sie dann gelernt?«
»Bei meinem Vater, Hector Bowen«, antwortet Celia. Nach kurzem Zögern fügt sie hinzu: »Aber er ist wohl besser bekannt als Zauberer Prospero.«
Marco fällt der Füllfederhalter aus der Hand.
»Zauberer Prospero?« Chandresh nimmt die Füße vom Sitz, lehnt sich vor und starrt Celia an, als sehe er plötzlich eine völlig andere Person vor sich. »Zauberer Prospero ist Ihr Vater?«
»War«, stellt Celia richtig. »Er ist letztes Jahr … gestorben.«
»Mein herzliches Beileid, Liebes«, sagt Mme. Padva. »Aber wer, mit Verlaub, ist Zauberer Prospero?«
»Zufällig der berühmteste Magier seiner Generation«, erwidert Chandresh. »Ich habe ihn verpflichtet, sooft ich ihn kriegen konnte, das ist jetzt schon Jahre her. Absolut brillant, hat jedes Publikum komplett in seinen Bann gezogen. Ich kenne niemanden, der es mit ihm aufnehmen konnte, nicht einen Einzigen.«
»Es hätte ihn gefreut, das zu hören«, sagt Celia mit einem kurzen Blick zu den im Dunkel liegenden Seitenvorhängen.
»Ich hab’s ihm gesagt, ihn aber ewig nicht gesehen. Vor Jahren haben wir uns in einem Pub zusammen betrunken. Er hat die ganze Zeit davon geredet, die Grenzen und Möglichkeiten des Theaters zu erweitern, etwas Außergewöhnliches zu erfinden. Mein jetziges Unterfangen hätte ihn wahrscheinlich sehr begeistert. Verflixte Schande.« Er seufzt schwer und schüttelt den Kopf. »Nun ja, dann mal weiter«, sagt er, lehnt sich zurück und betrachtet Celia mit erheblichem Interesse.
Marco, der den Füllfederhalter wieder einsatzbereit in der Hand hält, kehrt zu seiner Fragenliste zurück.
»S-sind Sie in der Lage, ohne Bühne aufzutreten?«
»Ja«, antwortet Celia.
»Kann man Ihre Zaubertricks von allen Seiten sehen?«
Celia lächelt. »Sie suchen jemanden, der in einer Menschenmenge auftreten kann?«, fragt sie Chandresh. Er nickt. »Verstehe.« Und dann hebt sie ihre Jacke so schnell auf, dass man mit den Augen kaum folgen kann, und wirft sie über die Sitze, wo sie statt hinunterzufallen in die Höhe schnellt und sich zusammenfaltet. Ein Wimpernschlag, und die Seidenfalten sind glänzend schwarze Federn, große schlagende Flügel, und der genaue Punkt, ab dem sie ganz Rabe ist und nicht länger Stoff, ist unmöglich zu bestimmen. Der Rabe schießt tief über die roten Samtsitze hinweg und hinauf in die Galerie, wo er neugierig seine Kreise zieht.
»Beeindruckend«, sagt Mme. Padva.
»Es sei denn, er war in ihren Riesenärmeln versteckt«, brummt Chandresh. Celia tritt zu Marco heran.
»Dürfte ich das mal kurz ausborgen?«, fragt sie ihn und deutet auf sein Notizbuch. Er zögert, und dann reicht er es ihr. »Danke«, sagt sie und geht wieder zur Bühnenmitte.
Nach einem flüchtigen Blick auf die säuberlich geschriebene Liste von Fragen schleudert sie das offene Notizbuch kerzengerade in die Luft, wo es sich auf die Unterseite dreht und aus dem undeutlichen Papiergeflatter eine weiße, flügelschlagende Taube wird, die eine Runde durchs Theater fliegt. Der Rabe krächzt sie von seinem Platz hoch oben in der Galerie an.
»Ha!«, ruft Chandresh angesichts der Taube und Marcos verblüfftem Gesicht.
Die Taube stößt wieder zu Celia hinab und setzt sich sacht auf ihre ausgestreckte Hand. Sie streichelt ihr über die Flügel und entlässt sie dann wieder in die Luft. Schon knapp über ihrem Kopf werden die Flügel wieder zu Papier, das prompt herunterfällt. Celia fängt es mit einer Hand auf und gibt es Marco zurück, der um einiges blasser geworden ist.
»Danke«, sagt Celia mit einem Lächeln. Marco nickt verwirrt und flüchtet sich, ohne sie anzusehen, in seine Ecke zurück.
»Fabelhaft, einfach fabelhaft«, sagt Chandresh. »Das könnte klappen. Das könnte ganz eindeutig klappen.« Er erhebt sich von seinem Sitz, läuft den Gang hinunter und schreitet dann nachdenklich am Rampenlicht vor dem Orchestergraben auf und ab.
»Bleibt noch die Kostümfrage«, ruft Mme. Padva ihm von ihrem Sitz aus zu. »Ich hatte nur an Gesellschaftsanzüge gedacht. Ein ähnlich gemachtes Kleid ginge wohl auch, nehme ich
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