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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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gesellt sich in sanftem Chor zum ersten.
    »Sie haben ein bemerkenswertes Gespür für den richtigen Augenblick«, sagt Tsukiko und wendet ihre Aufmerksamkeit den neugeborenen Zwillingen zu.
    Celia kann nur nicken.
    »Schade, dass du die Feuerzeremonie verpasst hast«, fährt Tsukiko fort. »Die war auch bemerkenswert.«
    Während das Weinen der Murray-Zwillinge nachlässt, versucht Celia, das noch immer vorhandene Kribbeln auf ihrer Haut abzuschütteln.
    Sie kennt ihren Gegenspieler zwar noch nicht, aber sein erster Zug hat sie erschüttert.
    Es kommt ihr vor, als würde der ganze Zirkus um sie herum strahlen, als hätte jemand ein Netz darübergeworfen, unter dem alles innerhalb des Eisenzauns gefangen ist wie ein flatternder Schmetterling.
    Sie überlegt, womit sie am besten zurückschlagen könnte.

Eröffnungsnacht III: Blendwerk
    LONDON, 13 . UND 14 . OKTOBER 1886
    C handresh Christophe Lefèvre betritt am Eröffnungsabend kein einziges Zelt. Stattdessen spaziert er mit Marco im Schlepptau die Gänge und Pfade entlang und kreuz und quer über den Platz. Wann immer er etwas zu beanstanden hat, macht Marco sich Notizen.
    Chandresh beobachtet, wonach die Zirkusbesucher entscheiden, in welches Zelt sie gehen. Dabei fallen ihm Schilder auf, die schief oder nicht in Augenhöhe hängen, und Türen, die zu unscheinbar oder aufdringlich wirken und deshalb zu viele oder zu wenige Zuschauer anlocken.
    Aber das sind nur Kleinigkeiten, ein Extraschuss Öl gegen unhörbares Quietschen. Alles läuft bestens. Die Leute sind begeistert. Die Schlange an der Kasse reicht bis um den Zaun. Der ganze Zirkus sprüht vor Aufregung.
    Kurz vor Mitternacht stellt Chandresh sich an den Rand des großen Platzes, um die Feuerzeremonie zu verfolgen. Er sucht sich ein Fleckchen, von dem er einen guten Blick auf das Schauspiel und die Menge hat.
    »Ist alles bereit?«, fragt er.
    Niemand antwortet.
    Als er sich zu beiden Seiten umschaut, sieht er nur ausgelassene Besucher vorbeiströmen.
    »Marco?«, sagt er, doch Marco ist spurlos verschwunden.
    Eine der Burgess-Schwestern entdeckt Chandresh und bahnt sich behutsam einen Weg durch die Menschenmenge.
    »Hallo, Chandresh«, sagt sie, als sie bei ihm ankommt. »Stimmt was nicht?«
    »Anscheinend habe ich Marco verlegt«, sagt er. »Seltsam. Aber kein Grund zur Sorge, Lainie, Liebes.«
    »Tara«, berichtigt sie ihn.
    »Ihr seht euch zu ähnlich.« Chandresh pafft an seiner Zigarre. »Das verwirrt. Ihr solltet nur als Paar auftreten, um andere nicht in Verlegenheit zu bringen.«
    »Also wirklich, Chandresh, wir sind nicht mal Zwillinge.«
    »Wer von euch ist denn die Ältere?«
    »Das bleibt unser Geheimnis«, sagt Tara lächelnd. »Kann man den Abend schon als Erfolg bezeichnen?«
    »Bisher läuft alles zufriedenstellend, aber die Nacht ist noch jung, meine Liebe. Wie geht’s Mrs Murray?«
    »Gut, glaube ich. Seit einer Stunde habe ich allerdings nichts mehr gehört. Die Zwillinge werden wohl einen unvergesslichen Geburtstag haben.«
    »Wenn sie so leicht zu verwechseln sind wie deine Schwester und du, sind sie vielleicht was für den Zirkus. Wir könnten sie in das gleiche Kostüm stecken.«
    Tara lacht. »Lässt du sie wenigstens erst laufen lernen?«
    Zwölf Bogenschützen positionieren sich um den noch dunklen Feuerkessel. Tara und Chandresh verstummen. Während Tara den Bogenschützen zusieht, beobachtet Chandresh, wie das Schauspiel die Aufmerksamkeit der Menschenmenge auf sich zieht. Mit dem Auftritt der Bogenschützen wird die Menge zum Publikum, als sei sie Teil der Inszenierung. Alles läuft wie am Schnürchen.
    Ein Bogenschütze nach dem anderen schießt seinen Pfeil ab und lässt die Flammen in einem bunten Regenbogen emporlodern. Der ganze Zirkus ist in Farbe getaucht, als die Uhr mit tiefem, weithin hallendem Klang zwölfmal schlägt.
    Beim zwölften Schlag brennt das Feuer weißglühend und lichterloh. Alles auf dem Platz erschaudert für einen Moment – Schals flattern, obwohl kein Lüftchen weht, und das Zeltleinen bebt.
    Das Publikum spendet Beifall. Auch Tara klatscht, Chandresh dagegen stolpert und lässt seine Zigarre fallen.
    »Fehlt dir was, Chandresh?«, fragt Tara.
    »Mir ist ganz schwindlig«, antwortet er. Tara fasst ihn am Arm und zieht ihn aus der wieder in alle Richtungen drängenden Menschenmenge zum nächsten Zelt.
    »Hast du das auch gespürt?«, fragt Chandresh. Ihm zittern die Beine, und Tara hat wegen der rempelnden Passanten Mühe, ihn zu

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