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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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haben?«
    »Mein Popcorn ist alle«, jammert Widget und hält seine leere Tüte von sich.
    Celia nimmt ihm die Tüte ab und faltet sie unter den Augen der Zwillinge in immer kleinere Quadrate, bis sie vollkommen verschwindet. Als sie klatschen, sind Widgets Hände nicht mehr mit Zucker verklebt, aber das bemerkt er nicht.
    Celia betrachtet die Zwillinge eine Weile, während Widget über den Verbleib der Popcorntüte rätselt und Poppet nachdenklich in den Himmel blickt.
    Es ist keine gute Idee, das weiß sie. Aber in Anbetracht der Umstände und der offenkundigen Begabung der beiden ist es besser, sie in ihrer Nähe zu haben und genau im Auge zu behalten.
    »Möchtet ihr auch solche Kunststücke lernen?«, fragt Celia.
    Widget nickt sofort so begeistert, dass ihm seine Mütze in die Augen rutscht. Poppet zögert und nickt dann ebenfalls.
    »Dann gebe ich euch Unterricht, wenn ihr ein bisschen älter seid. Aber es muss unser Geheimnis bleiben«, sagt Celia. »Könnt ihr ein Geheimnis für euch behalten?«
    Die Zwillinge nicken gleichzeitig, und Widget muss seine Mütze erneut richten.
    Celia führt sie wieder zum Platz zurück, und die beiden folgen ihr glücklich.

Wünsche und Begierden
    PARIS, MAI 1891
    D er Perlenvorhang öffnet sich mit einem regenähnlichen Prasseln, als Marco in die Kammer der Wahrsagerin tritt. Isobel hebt augenblicklich den Schleier vom Gesicht, und die hauchzarte schwarze Seide schwebt hinter ihren Kopf.
    »Was machst du hier?«, fragt sie.
    »Warum hast du mir davon nichts erzählt?« Er hält ihr ein aufgeschlagenes Notizbuch hin. Im flackernden Licht erkennt Isobel einen kahlen schwarzen Baum. Kein Baum wie in vielen seiner anderen Bücher, sondern einer mit lauter tropfenden weißen Kerzen. Ringsherum sind Detailansichten von knorrigen Ästen aus verschiedenen Perspektiven.
    »Das ist der Wunschbaum«, sagt Isobel. »Er ist neu.«
    »Das weiß ich«, erwidert Marco. »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
    »Ich hatte keine Zeit zum Schreiben«, sagt Isobel. »Außerdem war ich mir nicht sicher, ob er vielleicht von dir ist. Mir schien das durchaus möglich. Eine schöne Idee, dass man einen Wunsch hinzufügt, indem man eine Kerze an einer schon brennenden anzündet und sie auf einen Zweig steckt. Neue Wünsche, entfacht an alten.«
    »Ihr Werk«, sagt Marco schlicht und zieht das Notizbuch zurück.
    »Wie bist du dir da so sicher?«, fragt Isobel.
    Marco überlegt und blickt auf die Zeichnung hinab. Er ärgert sich, dass seine hastig hingeworfenen Skizzen die Schönheit des Baums nicht richtig einfangen konnten.
    »Das habe ich im Gefühl«, sagt er. »So wie man weiß, dass gleich ein Sturm aufzieht, weil die Luft sich verändert. Ich war kaum in dem Zelt, da habe ich es gespürt, in der Nähe des Baums sogar noch stärker. Ich weiß nicht, ob man das merkt, wenn man so ein Gefühl nicht kennt.«
    »Glaubst du, sie spürt auch, was von dir stammt?«, fragt Isobel.
    Darüber hat Marco noch gar nicht nachgedacht, obwohl es durchaus sein könnte. Seltsamerweise findet er die Vorstellung angenehm.
    »Ich habe keine Ahnung.« Mehr sagt er nicht zu Isobel.
    Isobel schiebt den Schleier, der ihr ins Gesicht gefallen ist, wieder nach hinten.
    »Gut«, sagt sie, »jetzt weißt du es und kannst mit dem Baum anstellen, was du willst.«
    »So geht das nicht«, erwidert Marco. »Ich kann nicht etwas von ihr Geschaffenes für meine Zwecke verwenden. Die Seiten müssen getrennt bleiben. Wenn wir Schach spielen würden, könnte ich auch nicht einfach ihre Figuren vom Brett nehmen. Wenn sie einen Zug macht, darf ich nur mit meinen eigenen Figuren kontern.«
    »Dann gibt es ja nie ein Endspiel«, sagt Isobel. »Wie willst du einen Zirkus schachmatt setzen? Das ergibt keinen Sinn.«
    »Es ist nicht wie beim Schach.« Marco sucht nach einer Erklärung für etwas, das er ansatzweise begriffen hat, aber nicht genau in Worte fassen kann. Er schaut auf ihren Tisch, wo ein paar aufgedeckte Tarotkarten liegen. An einer bleibt sein Blick hängen.
    »Es ist wie auf dem Bild«, sagt er und zeigt auf die Frau mit der Waage und dem Schwert. La Justice steht unter ihr. »Zwei Waagschalen: Eine ist meine, die andere ihre.«
    Auf dem Tisch erscheinen zwei silberne, unsicher balancierende Waagschalen zwischen den Karten. Auf jeder liegt ein Diamantenhäufchen, das im Kerzenlicht funkelt.
    »Dann geht es also darum, dass sich die Waage zu deinen Gunsten neigt?«, fragt Isobel.
    Marco nickt und blättert in seinem

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