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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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er wieder zu ihr aufblickt, liegt das Tuch perfekt gebunden um ihre Schultern, als hätte sie es nie abgelegt.
    »Danke«, sagt Celia. »Gute Nacht.« Und noch ehe er reagieren kann, huscht sie an ihm vorbei und zur Tür hinaus.
    »Miss Bowen?« Marco läuft ihr über die Stufen zum Eingang hinterher.
    »Ja?«, erwidert Celia und dreht sich unten auf dem Bürgersteig um.
    »Ich hatte gehofft, dass ich Sie zu dem Drink überreden kann, der uns in Prag nicht vergönnt war.« Marco sieht ihr unverwandt in die Augen, während sie sein Angebot überdenkt.
    Sein Blick ist noch eindringlicher als vorhin beim Essen. Celia spürt die Pression, eine Technik, die ihr Vater immer sehr schätzte, aber sie spürt auch etwas Aufrichtiges, fast wie eine Bitte.
    Dieses Gefühl und eine Portion Neugier bewegen sie zu einem zustimmenden Nicken.
    Marco lächelt und dreht sich um, dann geht er zurück ins Haus und lässt die Tür offen.
    Kurz darauf folgt sie ihm. Hinter ihr fällt die Tür ins
Schloss.
    Das Speisezimmer ist inzwischen aufgeräumt, nur die Kerzen in den Kandelabern brennen noch.
    Auf dem Tisch stehen zwei Gläser Wein.
    »Wohin ist Chandresh verschwunden?«, fragt Celia, nimmt eines der Gläser und geht um den Tisch herum.
    »Er hat sich in den fünften Stock zurückgezogen.« Marco nimmt sich das zweite Glas. »Er hat das ehemalige Gesindequartier renovieren lassen und nutzt es als Privatwohnung, weil ihm die Aussicht so gut gefällt. Vor morgen früh kommt er nicht herunter. Das übrige Personal ist gegangen, wir haben also den Großteil des Hauses für uns.«
    »Bewirten Sie oft eigene Gäste, wenn seine nicht mehr da sind?«, fragt Celia.
    »Niemals.«
    Celia mustert ihn, während sie an ihrem Wein nippt. Etwas an seinem Äußeren beunruhigt sie, aber sie kann es nicht genau festmachen.
    »Hat Chandresh wirklich darauf bestanden, dass alle Flammen im Zirkus weiß sein müssen, damit sie ins Farbschema passen?«, fragt sie nach einer Weile.
    »Ja«, antwortet Marco. »Er wollte, dass ich einen Chemiker oder dergleichen kontaktiere. Ich habe dann beschlossen, mich selbst darum zu kümmern.« Er fährt mit den Fingern über die Kerzen auf dem Tisch, und die Flammen wechseln von warmem Gold zu kühlem Weiß, mit einer Spur silbrigem Blau in der Mitte. Dann lässt er die Hand in die andere Richtung zurückgleiten, und sie nehmen wieder ihre frühere Farbe an.
    »Wie nennen Sie das?«, will Marco wissen.
    Celia muss nicht fragen, was er damit meint.
    »Manipulation. Als ich jünger war, habe ich es Zauberei genannt. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mir das abgewöhnen konnte, obwohl mein Vater nichts gegen den Ausdruck hatte. Er hätte es Verzaubern genannt, oder, wenn ihm das zu kurz gewesen wäre, erzwungenes Manipulieren des Universums.«
    »Verzaubern?«, wiederholt Marco. »So hatte ich das bisher noch nicht gesehen.«
    »Unsinn«, entgegnet Celia. »Genau das tun Sie doch. Sie verzaubern. Und Sie beherrschen das wirklich gut. Es gibt sehr viele Menschen, die in Sie verliebt sind. Isobel. Chandresh. Und mit Sicherheit noch andere.«
    »Woher wissen Sie das mit Isobel?«
    »Die Zirkustruppe ist zwar ziemlich groß, aber es wird viel getratscht«, sagt Celia. »Allem Anschein nach ist sie jemandem sehr ergeben, den bisher niemand von uns kennt. Mir fiel sofort auf, dass sie mich besonders genau beobachtet. Irgendwann habe ich mich sogar gefragt, ob sie mein Gegner sein könnte. Dann kamen Sie nach Prag, als sie auf jemanden gewartet hat. Den Rest konnte ich mir leicht zusammenreimen. Aber ich glaube nicht, dass es sonst jemand weiß. Die Murray-Zwillinge haben die Theorie, dass sie in eine Traumvorstellung verliebt ist und nicht in eine wirkliche Person.«
    »Die Murray-Zwillinge sind ziemlich klug«, sagt Marco. »Wenn ich auf diese Weise verzaubere , geschieht das nicht immer mit Absicht. Es war hilfreich, um die Stellung bei Chandresh zu bekommen, denn ich hatte nur eine Empfehlung und wenig Erfahrung. Bei Ihnen scheint es allerdings nicht so gut zu wirken.«
    Celia stellt ihr Glas ab, noch immer unsicher, was sie von ihm halten soll. Das Flackerlicht der Kerzen lässt sein Gesicht noch unbestimmter erscheinen, deshalb wendet sie den Blick ab und begutachtet die Sachen auf dem Kaminsims.
    »Mein Vater hat etwas Ähnliches gemacht«, sagt sie. »Er war ein unwiderstehlicher Verführer. In meinen ersten Lebensjahren musste ich mit ansehen, wie meine Mutter sich beharrlich nach ihm verzehrt hat. Sie hat ihn geliebt

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