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Der Name Der Dunkelheit

Titel: Der Name Der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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auf der Straße halten können, glaubte er.
    »Lass den Türgriff lieber los«, sagte Snæfríður, obwohl sie so beharrlich nach vorn blickte, dass Henning sich fragte, wie sie das bemerkt haben konnte. »Es sind noch vierzig Kilometer.«
    Er löste seine Finger vom Griff und atmete durch. Doch als plötzlich ein Jeep an ihnen vorbeizog, griff Henning wieder zu. Es war das erste Auto seit dem Flughafen.
    »Jesus, ist der wahnsinnig?«
    »Das ist ganz normales isländisches Jeeptempo«, sagte Snæfríður.
    »Vielleicht hätten wir doch einen größeren Wagen nehmen sollen.«
    »Um nach Reykjavík zu fahren?«
    Sie war der einzige ruhige Punkt in dieser Hölle. Ihre
Durchsetzungsschwäche, die man ihr zu Hause als Defizit auslegte, erwies sich hier als Zähigkeit. Dafür sorgte allein die Umgebung.
    Die ersten Ampeln und Häuser tauchten auf, doch was wie der Beginn der Stadt aussah, entpuppte sich als Vorort. Als der erste von vielen, wie sich herausstellen sollte.
    Eine Viertelstunde später setzte Snæfríður den Blinker. »Jetzt kommt Garðabær. Da müssen wir raus.«
    »Was ist Garðabær?«, fragte Henning, der nur weiß sah.
    »Ein Vorort.«
    »Verstehe.«
    »Jeder Reykvikinger will in Garðabær wohnen. Das ist so etwas wie Djursholm.«
    »Verstehe.«
    Gleich nach der Ausfahrt begannen die Wohnstraßen, an denen sich ein Grundstück ans andere reihte. Die Villen waren riesige und verschachtelte Alpträume aus Beton. In den Einfahrten hingen sogar Basketballkörbe über dem Garagentor.
    »Nirgendwo brennt Licht«, bemerkte Henning.
    »Seit der Finanzkrise schon nicht mehr. Du kannst dir etwas aussuchen und sofort mit Lena Axelsson einziehen.«
    Henning blinzelte hinüber zu Snæfríður. Er konnte sich nicht erinnern, je etwas so Deftiges aus ihrem Mund gehört zu haben. Sie hielt am letzten Grundstück der Siedlung. Henning sehnte sich nach festem Boden unter den Füßen und begleitete sie zum Haus. Dort öffnete ein kleiner Junge. Während Snæfríður mit ihm sprach, vollführte Henning eine langsame Pirouette, um die Umgebung auf sich wirken zu lassen. Die Vororte lagen auf Landzungen mit tief eingeschnittenen Buchten. Bis zum Wasser waren es fünfzig Schritte, aber der Boden war viel zu schroff, als dass man am Morgen mit seinem Kaffee zum Ufer hätte schlendern können. Schwarze Lavakanten ragten aus der Schneedecke.

    »Sie ist nicht da«, fasste Snæfríður das Gespräch mit dem Jungen zusammen. »Ihre Mutter hat sie mit in die Stadt genommen.«
    Die Rede war von Fjóla, Huldas bester Freundin und Zwillingsseele. Snæfríðurs ganze Islandstrategie bestand in der Idee, dass die beiden zusammen waren. Falls diese Strategie scheiterte, konnte Fjóla angeblich als einziger Mensch Huldas Absichten wie den nächsten Zug eines Springers beim Schach vorausbestimmen.
    »Die Mutter nimmt an einem Bridgeturnier teil«, erzählte Snæfríður, als sie wieder auf der Schnellstraße fuhren. »Fjóla ist wahrscheinlich mit ihren Freunden in der Stadt unterwegs, um zu feiern. Ich muss die Mutter fragen, wo wir sie finden.«
    Henning wollte sich ein Bridgeturnier am Silvesterabend nicht entgehen lassen. Deshalb begleitete er Snæfríður in die Halle des Hotels Loftleiðir, wo sie ohne Namensschild am Revers und mit ihrem klaren Verstand auffielen wie bunte Hunde.
    »Weißt du, wie sie aussieht, Fjólas Mutter?«
    »Ich frage mich durch.« Sie deutete auf die offenen Türen zum Tagungssaal.
    »Wie heißt die Mutter? Dann sehe ich mich hier um.«
    Sie wusste bloß den Vornamen: Þórunn. Ein Hoch auf die Erfindung des Namensschildes, dachte Henning. Den Namen hätte er nicht über die Zunge gebracht. An der Bar musste er nur den Arm ausstrecken, um ein Glas Goldbräu zu erhalten. Damit ließ er sich auf dem Sofa zwischen zwei Damen nieder, die sich als sehr kontaktfreudig erwiesen. Das Alter ihrer Lidschatten datierte Henning auf etwa drei Tage. So lange dauerte das Bridgeturnier nämlich schon. Henning begriff, dass Durchhaltevermögen keine Besonderheit an Snæfríður war, sondern die gemeinsame Eigenschaft aller Isländer. Obwohl sich kaum noch jemand auf den Beinen halten konnte,
wurden auf der anderen Seite der Halle mit putziger Ernsthaftigkeit Ranglisten an die Wand projiziert. Bertil Svensson war als einziger Abgesandter Schwedens auf Platz 49 gelandet.
    »Woher kommst du?«, fragte die draufgängerischere der beiden Damen zum dritten Mal auf Englisch.
    »Garðabær«, antwortete Henning. »Ich bin

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