Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
begann er mit leiser, schmeichelnder Stimme. „Wir haben einen Vertrag mit ihm. Gut. Wenn er sich ruhig verhält, soll
er alles bekommen, was wir vereinbart haben, sein Gehalt, sein Auto, seine Spesen, seine Pension, alles. Die Liga ist nicht kleinlich mit einem abgedankten
Mahaguru. Wir alle wissen, dass die Kraft des Hju ihn erbarmungslos ausgebrannt hat. Er hat seine Aufgabe trotz aller Probleme gut erfüllt. Die uralten
Adepten haben ihn im richtigen Augenblick dazu bewegt, das Szepter des Hju weiterzureichen. Wir haben ihn alle geliebt und dürfen jetzt nicht über ihn
richten. Zugleich dürfen wir nicht sentimental sein. Sollte er seine Hand gegen die Liga und den Mahaguru erheben, wird die Strafe des Hju ihn treffen. Das
Hju schützt sich selbst. Wir sind nur die Vollstrecker seines Willens. Wenn Gordon sich nicht schweigend zurückzieht, wenn er weiterhin versucht, die Atmas
aufzuhetzen, werden wir seinen Vertrag für nichtig erklären und ihn mit Schadenersatzklagen verfolgen, deren Summen sein Vorstellungsvermögen übersteigen.
Außerdem haben wir das Hauptquartier. Wir haben die Publikationen, die Adressen, die Mitarbeiter, die finanziellen Mittel. Er kann diese Auseinandersetzung
nicht gewinnen, wenn er es darauf anlegt. Gordon ist nicht dumm. Er wird zur Vernunft kommen, wenn seine Wut verraucht ist.“
In Panettas Augen blitzte für einen Augenblick triumphierendes Glänzen. Sein Grinsen erstarrte. „Und wenn er nicht zur Vernunft kommt,“ fuhr er leise fort,
„wird er den Zorn des Hju zu spüren bekommen, der alles übersteigt, was unser begrenztes menschliches Bewusstsein sich auszumalen vermag.“
Der Zorn des Hju. Unangenehmes Kribbeln überrieselte mich, als Panetta diesen Satz aussprach. Damals schob ich es der Situation zu, die mir immer
unerträglicher wurde, heute weiß ich, was Patrick Panetta wirklich damit meinte.
Natürlich zog sich Gordon nicht schweigend zurück. Er fühlte sich im Recht. Er glaubte die uralten Adepten auf seiner Seite und wähnte sich seines
Einflusses auf die Atmas sicher. Jahrelang waren sie ihm zu Füßen gelegen, wären bereitwillig für ihn in den Tod gegangen. Er war noch immer ein Adept des
Hju, auch wenn er das Amt des Mahaguru einem anderen übertragen hatte. Er hielt sich für das eigentliche Rückgrat der Liga. Er würde die Atmas aufklären
über die ruchlosen Machtspiele im inneren Kreis. Gordon hatte in den letzten Wochen, als sein Verhältnis zu Andersen rasch abgekühlt war, wichtige Papiere
aus dem Hauptquartier in sein Privathaus gebracht, Akten, Statistiken, Briefe und Manuskripte, Datenbanken mit Adressen. Er rief seine engsten Mitarbeiter
an, die von dem verhängnisvollen Treffen des inneren Rates noch nichts wussten. Sie schlugen sich sofort auf seine Seite, brachten ihm weiteres Material,
stellten sich für einen Gegenschlag zur Verfügung. Auch Gordon wollte das Problem aus der Welt schaffen, ohne dass die Mehrzahl der Atmas davon erfuhr. Er
schrieb einen langen Brief an Andersen, gespickt mit Zitaten aus dem
Buch der Erleuchtung
, in dem er den neuen Mahaguru an seine spirituellen
Pflichten erinnerte, ihm Vorhaltungen machte und ihn aufforderte, öffentlich zu erklären, dass er, Gordon, der eigentliche Meister sei und Andersen nur
sein Schüler, der erst nach einer weiteren Probezeit dieses Amt übernehmen werde. Andersen antwortete ebenfalls mit Zitaten aus Jasons Büchern, die
mittlerweile den Status von heiligen Schriften erlangt hatten, wies Gordon an, sich in Würde zurückzuziehen und sich nicht an eine Position zu binden, die
er selbst abgegeben hatte. Gordons Antwort nahm deutlich an Schärfe zu.
Ted versäumte nicht, diese Briefe, von denen es vier oder fünf gab, zu kopieren und aufzubewahren. „Für das Kuriositätenkabinett. Zwei Mahagurus geben sich
gegenseitig Saures. Das hat die Welt nicht gesehen, seit Papst und Gegenpapst einander exkommunizierten. Das bringt die Atmas in die Zwickmühle – folgen
sie Gordon, werden sie von Andersen verstoßen und müssen die Strafe des Hju erdulden und umgekehrt.“
Die von verstiegenen Phrasen getragene Korrespondenz der beiden Kontrahenten verlief im Sande. In ihren letzten Briefen bescheinigten sie sich gegenseitig,
sie seien von der Gnade des Hju gefallen, tief hinab ins Dunkel der Verblendung. Indes verbreiteten sich unter den Atmas Gerüchte wie Lauffeuer. Gordon
begann, „Enthüllungsbriefe“ über den neuen Mahaguru an Liga-Führer zu versenden.
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