Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
operiert frei über allen weltlichen
Gesetzen, denn sie hat nur das Wohl des Ganzen im Auge. Zum Schutze des Hju dürfen Feinde der Liga verletzt oder getötet werden. Das Hju setzt sich über
alle orthodoxen Denkweisen hinweg, denn es verkörpert die höchste Macht des Universums.“ Mit Pathos wurden solche Zitate vorgetragen. Es gab keinen
Widerspruch, keine Diskussionen. Die jungen Atmas wussten, dass wahre Hingabe an das Hju keine Kompromisse kannte.
„Wer zaudert, fällt,“ sagte einer der EHs, „wer nicht uneingeschränktes Vertrauen in den Mahaguru zur Grundlage seines Lebens macht, wem nicht das Hju so
wichtig ist wie die Luft zum Atmen, wer nicht die Zweifel und Einwände des Verstandes mit der Wurzel ausreißt, gehört nicht zu den Auserwählten. Viele sind
berufen, wenige erwählt, wahre Werkzeuge des Mahaguru zu sein. Doch selbst der Verdienteste kann fallen, wenn er in seiner Hingabe an das Hju und den
Mahaguru wankt. Die negative Kraft versucht ständig, den wahren Atma von seinem Pfad abzulenken. Das hilfreichste Instrument der negativen Kraft ist der
nicht vom Hju kontrollierte Verstand, der Zweifel produziert an der Liga, am Mahaguru, am Hju. Die Spiritualisierung des Planeten muss in jedem einzelnen
Atma beginnen. Der erste Schritt ist, in strenger Selbstdisziplin, durch Anwendung der Techniken und durch gezielte Kontrolle durch vom Mahaguru
Beauftragte, alle zweifelnden Gedanken auszurotten, all diese liberalen, intellektuellen, scheinbar logischen Argumente der Außenwelt abzutöten und den
Geist ganz mit der Kraft des Hju zu erfüllen und dadurch für immer zu klären. Jede Kritik an der Liga ist Ausdruck der bösen Macht, die gegen die Wahrheit
arbeitet. Denken ist die Quelle allen Zweifels. Man muss diese Quelle austrocknen, um zur Wahrheit zu gelangen. Denken ist ein Gebet an das Böse. In der
rigorosen Kontrolle und Handhabung des Denkens liegt der Schlüssel zur Erleuchtung.“
Auch bei den gemeinsamen Mahlzeiten und an dienstfreien Abenden waren die EHs bei den jungen Atmas. Etwas von ihrer unnahbaren Strenge verlor sich in den
privaten Gesprächen, in denen die Themen des Tages fortgesponnen wurden. Wenn Aron sich in dieser Gruppe von Gleichgesinnten befand, schwamm er mit auf
einer Welle der Übereinstimmung, war beseelt von der gleichen Motivation wie die anderen. Stolz erfüllte ihn, zur Elite der Liga zu gehören. Spät abends
jedoch, wenn er in sein Zimmer zurückkehrte, müde und zugleich von überdrehter Wachheit, wenn er auf seinem Bett lag, spürte er die Schwere des Herzens
wieder, die bleierne Lähmung, die in der ersten Nacht in Blackwater in ihn gefahren war. Unbestimmte Angst kroch in ihn, alles schien sich gegen das
Einschlafen zu wehren. Der Gedanke an Judith vermochte ihn etwas zu beruhigen, doch zugleich rührte er eben die bitteren Zweifel auf, die als Todfeind
eines wahren Atma galten. Aron sang das Hju und spürte, dass es seine Gedanken beruhigte. Doch es war keine leichte, heitere Ruhe, die dann in ihm
herrschte, sondern pochender Schmerz, von schweren Medikamenten gedämpft. Aron sprach innerlich zum Mahaguru, dessen Nähe er seit der Audienz stärker
spürte, bat ihn, ihm zu helfen, den richtigen Weg zu finden, die Zweifel zu überwinden, die Prüfungen der negativen Kraft zu bestehen. Er gab sich Mühe in
den Diskussionen in der Gruppe, die eigentlich keine Diskussionen waren, sondern das gegenseitige Abfragen und Wiedergeben vorgestanzter Phrasen aus den
Schriften der Mahagurus. Er glänzte mit seinen Kenntnissen der Liga-Literatur, seinen Argumentationen, wenn es darum ging, von den EHs eingeworfene
Scheinwidersprüche zu entkräften und im Sinne der Liga zu lösen. Immer wieder gelang es ihm, zurückzutasten in die Begeisterung des gläubigen Atma, die ihn
noch vor Monaten ganz selbstverständlich erfüllt hatte. Nur in diesen seltenen Augenblicken schien sein Herz frei von aller Schwere.
Am Tag vor ihrer Abreise führte ein EH die jungen Gäste ein Stück über das Gelände von Blackwater, eine winzige Oase inmitten endloser, menschenleerer
Wüste, umgeben von hohen Stacheldrahtzäunen mit Verbotsschildern und Überwachungskameras, wie ein geheimes Militärlager. Neben dem Schulungszentrum und
den Gästezellen gab es einen barackenähnlichen Trakt, den die EHs bewohnten, die ständig hier lebten. Etwas abseits lag ein kleines Gebäude, in dem
Liga-Pioniere und persönliche Gäste des Mahaguru untergebracht wurden und
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