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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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an der Tür! Laß ihn nicht hinaus!«
    Die Warnung kam leider zu spät, denn bebend vor Gier, mich auf den Alten zu stürzen, war ich sofort beim Einbruch der Finsternis losgestürmt, um den Tisch zu umrunden auf der Seite, die mein Meister nicht gewählt hatte, und zu spät erkannte ich nun, daß ich Jorge damit ermöglicht hatte, unbehelligt die Tür zu erreichen, wußte ich doch, daß er sich im Dunkeln mit größter Sicherheit zu bewegen vermochte!
    Tatsächlich vernahmen wir gleich darauf ein Geräusch von zerreißenden Blättern in unserem Rücken, ein sehr gedämpftes Geräusch, denn es kam bereits aus dem Nebenraum. Und im gleichen Moment war auch schon ein zweites Geräusch zu hören, ein dumpfes und lauter werdendes Knirschen, das Knarren einer sich bewegenden Tür.
    298
    Der Name der Rose – Siebenter Tag
    »Der Spiegel!« schrie William. »Er will uns einschließen!« Wir stürzten, dem Knirschen folgend, Hals über Kopf zum Eingang, ich stolperte hart über einen Schemel und stieß mir das Knie, aber ich machte mir nichts daraus, denn siedendheiß durchzuckte mich die Erkenntnis: Wenn Jorge uns einschließen würde, fänden wir nie mehr hinaus, hatten wir doch keine Ahnung, wo man was betätigen mußte und wie, um von innen zu öffnen!
    William mußte mit der gleichen Verzweiflung wie ich zur Tür gestürmt sein, denn ich spürte ihn neben mir, als wir, kaum an die Schwelle gelangt, uns beide mit voller Kraft gegen die Rückseite des Spiegels warfen. Wir kamen gerade noch rechtzeitig, um die schon fast geschlossene Tür zum Stehen zu bringen, und kurz darauf gab sie unserem vereinten Stemmen nach. Offenbar hatte sich Jorge in der Einsicht, daß die Kräfte ungleich verteilt waren, auf der anderen Seite davongemacht. Wir stürzten aus dem verfluchten Raum und atmeten auf, doch nun wußten wir nicht, wohin der Alte entflohen war, und immer noch herrschte totale Finsternis. Plötzlich schoß mir ein Gedanke durch den Kopf:
    »Meister, ich habe ja noch das Zündzeug!«
    »Und worauf wartest du noch?« rief William. »Rasch, such die Lampe und mach sie an!«
    Ich hetzte zurück ins Finis Africae, tastete nach der Lampe, fand sie dank einem himmlischen Wunder sofort, kramte aus meinem Brustlatz Feuerstahl, Stein und Zunder hervor, die Hände zitterten mir beim Funkenschlagen, so daß ich zwei- oder dreimal von neuem beginnen mußte, während mich William von der Tür aus drängte: »Rasch, rasch!« Endlich flammte der Zunder auf.
    »Rasch!« drängte William noch einmal. »Sonst frißt der Alte uns noch den ganzen Aristoteles auf!«
    »Und stirbt!« rief ich voller Besorgnis, während ich mit der Lampe hinauseilte.
    »Was kümmert's mich, ob der Verfluchte stirbt!« fauchte mein Meister, während er aufgeregt hin- und herlief und in alle Richtungen spähte. »Sein Schicksal ist schon besiegelt mit dem, was er bisher geschluckt hat. Aber ich will das Buch!«
    Dann blieb er stehen und fuhr etwas ruhiger fort: »Warte! Wenn wir so planlos weitermachen, finden wir ihn nie. Sei mal ganz still und reg dich nicht!« Wir verharrten lautlos. Und in der Stille hörten wir, gar nicht sehr weit entfernt, das Geräusch eines Körpers, der gegen einen Schrank stieß, und das Gepolter von fallenden Büchern. »Dort!« schrien wir beide zugleich.
    Wir rannten los, dem Gepolter entgegen, doch gleich darauf wurde uns klar, daß wir unsere Schritte verlangsamen mußten, denn außerhalb des Finis Africae war die Bibliothek in jener Nacht von heftigen Böen durchzogen, die heulten und pfiffen entsprechend dem draußen tobenden Sturm, und vervielfacht durch unsere rasche Bewegung drohten sie, unser so mühsam wiedergewonnenes Licht auszublasen. Konnten wir unsere Verfolgung daher nicht beschleunigen, so wäre es, dachte ich, mithin geboten, Jorges Flucht irgendwie zu verlangsamen, aber William dachte das Gegenteil und schrie, daß es laut durch die Räume hallte: »Alter, wir kriegen dich gleich, wir haben jetzt wieder Licht!« Eine kluge Idee, in der Tat, denn diese Enthüllung mußte den Flüchtling beunruhigen, so daß er seine Schritte beschleunigte und damit die Ausgeglichenheit seines magischen Feingefühls als Seher im Dunkeln verlor . . . Tatsächlich hörten wir auch schon bald ein neues Gepolter, und als wir in den Raum Y von YSPANIA traten, sahen wir Jorge am Boden liegen, das Buch noch immer in Händen, umgeben von einem Haufen anderer Bücher, daneben der umgestürzte Tisch, auf dem sie gelegen hatten. Der Alte

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