Der Name der Rose
Roman ist eine Maschine zur Erzeugung von Interpretationen. Doch eins der Haupthindernisse bei der Verwirklichung dieses noblen Vorsatzes ist gerade der Umstand, daß ein Roman einen Titel braucht.
Ein Titel ist leider bereits ein Schlüssel zu einem Sinn. Niemand kann sich den Suggestionen entziehen, die von Titeln wie Rot und Schwarz oder Krieg und Frieden ausgehen. Am meisten Respekt vor dem Leser bezeugen Titel, die sich auf den Namen des Helden beschränken, wie David Copperfield oder Robinson Crusoe, aber auch der Verweis auf die Hauptfigur kann eine ungebührliche Einmischung seitens des Autors sein, etwa wenn Balzac mit Vater Goriot die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Person des Alten lenkt, obgleich der Roman auch das Epos von Rastignac und von Vautrin alias Collin ist. Vielleicht sollte man ehrlich unehrlich sein, wie Dumas Père, der kein Hehl daraus macht, daß sein Roman Die drei Musketiere in Wahrheit die Geschichte des vierten erzählt. Aber dergleichen ist rarer Luxus, den sich ein Autor wohl nur aus Versehen erlauben kann.
Mein Roman trug zunächst den Arbeitstitel Die Abtei des Verbrechens . Ich habe ihn verworfen, denn er fixierte die Aufmerksamkeit des Lesers allein auf die Kriminalhandlung und war geeignet, bedauernswerte, ausschließlich auf harte Reißer erpichte Käufer zum Erwerb eines Buches zu verführen, das sie enttäuscht hätte. Mein Traum war, das Buch einfach Adson von Melk zu nennen. Ein sehr neutraler Titel, denn Adson war ja immerhin das Erzähler-Ich. Aber Eigennamen als Titel sind bei unseren Verlegern nicht sehr beliebt, sogar Fermo e Lucia ist umbenannt worden5, und sonst gibt es in der italienischen Literatur nur sehr wenige Beispiele wie Lemmonio Boreo , Rubé oder Metello 6 – verschwindend wenige gegenüber den Scharen von Leuten, die als Tante Lisbeth, Madame Bovary, Wilhelm Meister, Barry Lyndon, Tom Jones oder Tonio Kröger andere Literaturen bevölkern.
Die Idee zu dem Titel Der Name der Rose kam mir wie zufällig und gefiel mir, denn die Rose ist eine Symbolfigur von so vielfältiger Bedeutung, daß sie fast keine mehr hat: rosa mystica, Krieg der Rosen, Roman de la Rose, die Rosenkreuzer, die Anmut der herrlichen Rosen, und Rose lebte das Rosenleben, la vie en rrrose, eine Rose ist eine Rose ist eine Rose, Röslein, Röslein, Röslein rot . . . Der Leser wird regelrecht irregeleitet, in alle möglichen Richtungen (also in keine) gewiesen, er kann dem Titel keine bestimmte Deutung entnehmen, und selbst wenn er die im lateinischen Schlußsatz angelegten nominalistischen Lesarten voll erfaßt, kommt er doch eben erst ganz am Ende darauf, nachdem er bereits wer weiß wie oft eine andere Wahl getroffen hat. Ein Titel soll die Ideen verwirren, nicht ordnen.
Nichts ist erfreulicher für den Autor eines Romans, als Lesarten zu entdecken, an die er selbst nicht gedacht hatte und die ihm von Lesern nahegelegt werden. Als ich theoretische Werke schrieb, war meine Haltung gegenüber den Rezensenten die eines Richters: Ich prüfte, ob sie mich verstanden hatten, und beurteilte sie danach. Mit einem Roman ist das ganz anders. Nicht daß man als Romanautor keine Lesarten finden könnte, die einem abwegig erscheinen, aber man muß in jedem Fall schweigen und es anderen überlassen, sie anhand des Textes zu widerlegen. Die große Mehrheit der Lesarten bringt jedoch überraschende Sinnzusammenhänge ans Licht, an die man beim Schreiben nicht gedacht hatte. Was heißt das?
Eine französische Philologin, Mireille Calle Gruber, hat subtile Schreibspiele (Paragramme) entdeckt, in denen die simplices (im Sinne der einfachen Leute) mit den simplices im Sinne der Heilkräuter assoziiert werden, und nun findet sie, daß ich vom »bösen Gewächs« (oder »Unkraut«) der Häresie spreche. Ich könnte erwidern, daß der Terminus »simplices« in beiden Fällen die Literatur der Epoche durchzieht, desgleichen der Ausdruck »böses Gewächs«. Andererseits kannte ich sehr wohl das Beispiel von Greimas über die doppelte Isotopie, die sich ergibt, wenn man den Kräuterkundigen als einen »Freund der simplices«
definiert. Wußte ich, daß ich mit Paragrammen spielte? Es zählt nicht, was ich im nachhinein sage, der Text 331
Nachschrift zum »Namen der Rose«
ist da und produziert seine eigenen Sinnverbindungen.
Als ich die Rezensionen las, machte es mir besondere Freude, wenn ein Kritiker (die ersten waren Ginevra Bompiani und Lars Gustafsson) eine knappe Bemerkung hervorhob, die
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