Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Anklage erheben zu können. Doch da Ihr dabei seid, Nachforschungen über das Leben dieser Abtei anzustellen, sollt Ihr nun auch diese Dinge wissen. Ich sage Euch also: Ich hege den Verdacht – den Verdacht, wohlgemerkt, aufgrund von Dingen, die mir zu Ohren gekommen sind oder die ich erraten habe –, daß es einen sehr dunklen Punkt im Leben unseres Cellerars gegeben hat, der hier vor Jahren genau nach dem Exodus der Minoriten eintraf . . .«
    »Der Cellerar?« rief William überrascht aus. »Remigius von Varagine ein Dolcinianer? Er scheint mir harmloser und in jedem Falle weniger um Frau Armut besorgt als irgendeiner . . .«
    »Ich kann in der Tat nichts Konkretes gegen ihn sagen und erfreue mich seiner guten Dienste, für welche die ganze Bruderschaft ihm hier Dank weiß. Ich sagte Euch dies nur, um Euch begreiflich zu machen, wie leicht man Verbindungen findet zwischen einem Frater und einem Fratizellen . . .«
    »Schon wieder seid Ihr ungerecht in Eurer Güte, wenn ich das sagen darf«, unterbrach ihn William. »Wir sprachen von den Dolcinianern, nicht von den Fratizellen. Von letzteren kann man vieles sagen (auch ohne zu wissen, wovon man eigentlich spricht, denn es gibt vielerlei Arten von ihnen), nicht aber, daß sie blutrünstig seien. Schlimmstenfalls kann man ihnen vorwerfen, daß sie ohne allzuviel Überlegung Dinge tun, die von den Spiritualen maßvoller und im Geist der wahren Gottesliebe gepredigt worden sind – und in diesem Punkt gebe ich zu, daß die Grenzen zwischen den einen und den anderen manchmal recht fließend sind . . .«
    »Aber die Fratizellen sind Ketzer!« unterbrach der Abt schroff. »Sie beschränken sich nicht darauf, die Armut Christi und der Apostel zu vertreten, eine Lehre, die, auch wenn ich mich nicht gedrängt fühle, sie zu teilen, durchaus von Nutzen sein kann, um sie dem Dünkel der Avignoneser entgegenzuhalten.
    Aber die Fratizellen ziehen aus dieser Lehre eine praktische Folgerung, sie leiten daraus ein Recht auf Rebellion, auf Plünderung, auf Verkehrung der Sitten ab!«
    »Welche Fratizellen tun das?«
    »Alle, ganz allgemein. Ihr wißt, daß sie sich unsäglicher Verbrechen schuldig gemacht haben, daß sie die Ehe nicht anerkennen, daß sie die Existenz der Hölle verneinen, daß sie Sodomie begehen, daß sie die bogomilische Häresie des Ordo Bulgarii und des Ordo Drygonthii teilen . . .«
    »Ich bitte Euch«, sagte William, »vermischt nicht, was verschieden ist! Ihr sprecht, als ob Fratizellen, Patarener, Waldenser und Katharer und unter letzteren die Bogomilen aus Bulgarien und die Häretiker aus Dragovitsa alle dasselbe wären!«
    »Sie sind es«, beharrte der Abt. »Sie sind alle dasselbe, weil sie allesamt Ketzer sind, weil sie die Ordnung der zivilisierten Welt auf den Kopf stellen, auch die Ordnung des Reiches, die Ihr doch anscheinend begrüßt.
    Vor mehr als einem Jahrhundert steckten die Anhänger des Arnaldus von Brescia in Rom die Häuser der Adligen und der Kardinäle in Brand, und das war die Frucht der lombardischen Häresie der Patarener. Ich weiß schreckliche Geschichten über diese Häretiker, ich las sie bei Cäsarius von Heisterbach. In Verona bemerkte eines Tages der Kanonikus von Sankt Gideon, Eberhardus mit Namen, daß sein Zimmerwirt jede 94
    Der Name der Rose – Zweiter Tag
    Nacht mit Frau und Tochter das Haus verließ. Er fragte, ich weiß nicht mehr wen der drei, wohin sie gingen und was sie dort taten. Komm und sieh selbst, wurde ihm geantwortet, und er folgte ihnen in ein unterirdisches Haus, worin Personen beiderlei Geschlechtes versammelt waren. Ein Häresiarch hielt ihnen, während sie alle still lauschten, eine höchst lästerliche Rede mit dem Vorsatz, ihr Leben und ihre Sitten zu verderben. Dann wurde die Kerze gelöscht, und jeder warf sich auf seine Nachbarin, ohne zu unterscheiden zwischen der legitimen Ehefrau und der Ledigen, zwischen Witwe und Jungfrau, zwischen Herrin und Magd noch auch (was das Allerschlimmste war, der Herr vergebe mir, daß ich so etwas ausspreche!) zwischen Tochter und Schwester. Als Eberhardus das alles sah, gab er – jung und wollüstig, wie er war – sich als neuer Anhänger der Bewegung aus, näherte sich, ich weiß nicht mehr, ob der Tochter seines Wirtes oder einer anderen Maid, wartete, bis die Kerze gelöscht war, und sündigte mit ihr. Solches tat er, Gott sei's geklagt, mehr als ein Jahr lang, bis schließlich der Herr des Hauses sagte, dieser Jüngling habe nun ihre Sitzungen mit soviel

Weitere Kostenlose Bücher