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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Leib nur in den Stunden der Nacht. So stieg ich hinauf ins Skriptorium, bat den Bibliothekar um Erlaubnis und begann, im Verzeichnis der Bücher zu blättern. Doch während meine Augen zerstreut über die Seiten des schweren Folianten glitten, beobachtete ich in Wahrheit die Mönche.
    Eindrucksvoll schien mir, mit welcher Ruhe und Gelassenheit sie ihrer Arbeit nachgingen, als würde nicht gerade einer der ihren fieberhaft in der ganzen Abtei gesucht, als wären nicht erst vor kurzem zwei andere unter erschreckenden Umständen aus ihrer Mitte gerissen worden. Ja, sagte ich mir, das eben ist die Größe unseres Ordens: Jahrhundertelang haben Männer wie diese mitansehen müssen, wie barbarische Horden einbrachen, ihre Abteien plünderten, ganze Reiche in Schutt und Asche legten, und doch oblagen sie unbeirrt weiter ihrer Liebe zu Pergament und Tinte, wälzten unbeirrt weiter kostbare Bücher und lasen mit spitzen Lippen Worte, die ihnen tradiert worden waren durch die Jahrhunderte und die sie weitertradierten an die Jahrhunderte nach ihnen. Sie lasen und schrieben selbst weiter, als das Jahrtausend zu Ende ging, warum sollten sie also jetzt damit aufhören?
    Am Vortag hatte uns Benno gestanden, daß er zur Sünde bereit wäre, um ein seltenes Buch zu bekommen. Es war keine Lüge gewesen und auch kein Scherz. Gewiß, ein Mönch sollte seine Bücher in Demut lieben, sich lediglich ihrer Erhaltung widmen und nicht der Befriedigung seiner Neugier. Doch was für den Laien die Verlockung des Ehebruchs ist und für den städtischen Priester der Zauber des Reichtums, das ist für den Mönch die Versuchung des Wissens und der Erkenntnis.
    Ich blätterte im Katalog, und ein Reigen geheimnisumwitterter Buchtitel tanzte vor meinen Augen: Quinti Sereni de medicamentis , Phaenomena , Liber Aesopi de natura animalium , Liber Aethici peronymi de cosmographia , Libri tres quos Arculphus episcopus Adamnano escipiente de locis sanctis ultramarinis designavit conscribendos , Libellus Q. Iulii Hilarionis de origine mundi , Solini Polyhistor de situ orbis terrarum et mirabilibus , Almagesthus … Kein Wunder, so schien mir, wenn sich das Geheimnis der Verbrechen in dieser Abtei um die Bibliothek drehte. Für diese den Schriften geweihten Mönche war die Bibliothek gleichzeitig das himmlische Jerusalem und ein verborgenes Reich an der Grenze zwischen Terra incognita und heidnischer Unterwelt. Sie wurden beherrscht von der Bibliothek, von ihren Verheißungen wie von ihren Verboten. Sie lebten mit ihr, für sie und vielleicht auch gegen sie, in der sündigen Hoffnung, eines Tages all ihre Geheimnisse lüften zu können. Warum sollten sie nicht den Tod riskieren, um ein Verlangen ihres wißbegierigen Geistes zu stillen, warum nicht schließlich auch töten, um zu verhindern, daß jemand sich eines ihrer kostbaren Geheimnisse bemächtigte?
    Versuchungen, gewiß, Hoffart des Geistes. Wie anders war dagegen der schreibende Mönch, den sich einst unser heiliger Ordensgründer vorgestellt hatte: fähig, ein Buch zu kopieren, ohne es zu verstehen, entsagungsvoll Gottes Willen verrichtend, schreibend, weil betend, und betend, solange er schrieb. Warum war das jetzt nicht mehr so? Und dies war gewiß nicht die einzige Degenerationserscheinung unseres Ordens, oh nein! Er war zu mächtig geworden, seine Äbte wetteiferten mit den Königen; bot nicht Abbo das Beispiel für einen Monarchen, der mit monarchischer Miene Fehden zwischen Monarchen beizulegen versuchte? Selbst das Wissen, das unsere Abteien aufgehäuft hatten, wurde heutzutage als Tauschware eingesetzt, als Grund zu Hoffart und eitlem Prahlen mißbraucht. Wie die Ritter prahlten mit ihren Rüstungen und Standarten, so prahlten unsere Äbte mit ihren bebilderten Codizes … Jawohl, und das um so lauter (welch ein Wahn!), als unsere Klöster längst schon die Siegespalme der Weisheit verloren hatten: Längst schon kopierten die Domschulen, Universitäten und städtischen Zünfte ebenfalls Bücher, mehr und besser womöglich als wir, und sie produzierten neue Bücher – und das war vielleicht überhaupt der Grund für all dieses Unheil.
    Die Abtei, in welcher ich mich befand, war vermutlich die letzte, die sich noch einer überragenden Meisterschaft im Herstellen und Kopieren von Büchern rühmen konnte. Doch gerade darum vielleicht begnügten sich ihre Mönche nicht mehr mit dem frommen Werk des Kopierens, sondern wollten in ihrer Gier nach Neuem ebenfalls neue Ergänzungen der Natur

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