Der Name der Rose
ihre Wangen standen lieblich in den Kettchen und ihr Hals in den Schnüren. Siehe, meine Freundin, du bist schön, siehe, schön bist du, deine Augen sind wie Taubenaugen (murmelte ich), laß mich dein Angesicht sehen, laß mich deine Stimme hören, denn deine Stimme ist wohlklingend und dein Angesicht zauberhaft, du hast mich verzaubert, du hast mich vor Liebe krank gemacht, meine Schwester, du hast mir das Herz genommen mit deiner Augen einem und mit deiner Halsketten einer, deine Lippen sind wie triefender Honigseim, Honig und Milch ist unter deiner Zunge, deines Atems Duft ist wie der Duft von Granatäpfeln, deine Brüste sind wie Trauben, Trauben am Weinstock, dein Gaumen ist wie erlesener Wein, der meiner Liebe glatt eingeht, der mir über Lippen und Zähne fließt … Ein Gartenbrunnen bist du, Narde und Safran, Kalmus und Zimt, Myrrhen und Aloe. Und ich schlürfte meinen Nektar und meinen Honig, ich trank meinen Wein und meine Milch – wer war sie, wer, die da aufging vor mir wie die Morgenröte, schön wie der Mond, strahlend wie die Sonne und schrecklich wie eine waffenstarrende Heerschar?
Oh Herr, wenn die Seele entrückt ist, dann bleibt als einzige Tugend allein zu lieben, was man erschaut (ist das nicht wahr?) und als höchstes Glück einfach zu haben, was man hat, dann trinkt man das selige Leben an seiner Quelle (ward nicht so geweissagt?), dann kostet man von jenem wahren Leben, das uns nach dem Ende des sterblichen Lebens beschieden ist an der Seite der Engel in Ewigkeit … So dachte ich bei mir, und mich dünkte, als ob diese Prophezeiungen sich erfüllten, während das Mädchen mich mit unsäglichen Liebkosungen überschüttete. Und mir war, als wäre mein Körper ganz und gar Auge geworden, hinten und vorn, und ich sah alles rundum mit einem Blick. Und ich begriff, daß eben diesem Blick, der die Liebe ist, zugleich die Einheit und die Zartheit und die Güte und der Kuß und die Umarmung entspringen, wie ich früher bereits gehört hatte, glaubend, es wäre dabei von ganz anderen Dingen die Rede gewesen. Und nur einmal, als mein Entzücken sich seinem Gipfel näherte, kam mir kurz in den Sinn, daß ich womöglich gerade in diesem Moment, noch dazu inmitten der Nacht, die Beute des Mittagsdämons war, der bekanntlich dazu verdammt ist, am Ende stets seine wahre Teufelsnatur zu offenbaren, wenn ihn die Seele in höchster Ekstase fragt: »Wer bist du?« – ihn, der Leib und Seele bis zu diesem Moment zu täuschen vermag. Doch gleich darauf war ich überzeugt, daß teuflisch nur noch mein Zögern war, denn nichts konnte richtiger, schöner und heiliger sein als das, was ich gerade empfand und was nun an Süße noch jeden Augenblick zunahm. Und gleich wie ein Wassertropfen, der in einen vollen Weinkrug fällt, sich gänzlich auflöst, um die Farbe und den Geschmack des Weins anzunehmen, gleich wie ein glühendes Eisen im Feuer seine ursprüngliche Form verliert und selber zu Feuer wird, gleich wie sich die Luft, wenn durchflutet von den Strahlen der Sonne, zu höchstem Glänze und höchster Klarheit wandelt, dergestalt, daß sie nicht mehr erleuchtet zu sein, sondern selber zu leuchten scheint – so fühlte ich mich vergehen in süßem Verströmen, und gerade noch blieb mir die Kraft, mit den Worten des Psalms zu hauchen: »Siehe, meine Brust ist wie neuer Wein, der neue Schläuche zerreißt!« – Dann sah ich nur noch ein gleißendes Licht und in dem Licht eine glänzende saphirblaue Gestalt, die ganz und gar im lieblichen Schein einer hochrot funkelnden Lohe erglühte, und das gleißende Licht durchdrang die funkelnde Lohe, und die funkelnde Lohe durchdrang die glänzende blaue Gestalt, und das gleißende Licht und die funkelnde Lohe durchfluteten die Gestalt durch und durch.
Und während ich fast entseelt auf den Körper sank, mit welchem ich mich vereint, begriff ich in einem letzten Aufflakkern meiner Lebensgeister: Die Flamme brennt in glänzendem Lichte, in purpurner Kraft und in feuriger Glut; durch das glänzende Licht aber leuchtet sie, durch die purpurne Kraft aber flammt sie, durch die feurige Glut aber wärmet sie! Dann blickte ich in den Abgrund und in die weiteren Abgründe, die sich unter ihm auftaten …
Jetzt, da ich diese Zeilen schreibe mit zitternder Hand (nicht wissend, ob sie mir zittert wegen der schrecklichen Sünde, von der ich berichte, oder wegen der sündhaften Sehnsucht nach jenem fernen Geschehen, die mich dabei überfällt), jetzt merke ich, daß ich soeben zur
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