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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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mein Sohn!« sagte er leutselig zu mir, als William die Freundlichkeit hatte, mich ihm als seinen Gehilfen und Schüler vorzustellen. Er fragte mich, ob ich Bologna kenne, rühmte die Schönheiten jener Stadt sowie ihre glänzende Universität und lud mich ein, sie eines Tages zu besuchen, anstatt zurückzukehren in meine Heimat, zu jenen Leuten, wie er sagte, die unserem Herrn Papst soviel Kummer bereiteten. Dann streckte er mir seinen Ring hin zum Kuß, während sein Lächeln sich bereits einem anderen zugewandt hatte.
    Auch mein Interesse wandte sich freilich gleich einem anderen zu, von dem ich in jenen Tagen schon viel gehört hatte und dessen Name stets aufhorchen ließ: Bernard Gui, wie ihn die Franzosen nannten, oder Bernhardus Guidonis oder Bernardo Guido, wie er von anderen genannt wurde.
    Er war ein ungefähr siebzigjähriger Dominikaner von hagerer, aber straffer und hoher Gestalt. Am meisten fesselten mich seine grauen und kalten Augen, die ihr Gegenüber ausdruckslos anstarren konnten, aber auch häufig vielsagend aufblitzten und seine Gedanken sowohl zu verbergen als auch im rechten Moment gezielt auszudrücken vermochten.
    Im allgemeinen Begrüßungsaustausch war er als einziger weder huldvoll noch herzlich, sondern stets – und auch das nur mit größter Zurückhaltung – höflich. Als er Ubertin erblickte, den er wohl bereits kannte, trat er ihm mit gemessener Achtung entgegen, fixierte ihn aber auf eine Weise, die mich beunruhigte. Als er Michael von Cesena begrüßte, spielte ein schwer definierbares Lächeln um seine Lippen, und ich hörte ihn tonlos murmeln: »Drüben bei uns erwartet man Euch schon lange.« Ein Satz, aus dem ich weder eine Spur von Besorgnis noch einen Schatten von Ironie noch eine Mahnung oder gar einen Befehl herauszuhören vermochte, auch übrigens keinen Schimmer von persönlichem Interesse. Dann stand er vor William, und als er erfuhr, wer sein Gegenüber war, betrachtete er meinen Meister mit erlesener Feindseligkeit; aber nicht etwa, weil sein Blick unwillkürlich seine geheimen Gefühle verraten hätte, dessen war ich mir ganz sicher (wenngleich ich mir durchaus nicht ganz sicher war, ob dieser Mann überhaupt irgendwelche Gefühle hegte), sondern weil er ohne Zweifel wollte , daß William seine Feindseligkeit verspürte. Dieser gab sie ihm denn auch prompt zurück, indem er mit übertrieben herzlichem Lächeln sagte: »Schon lange wollte ich einen Mann kennenlernen, dessen Ruf mir in zahlreichen wichtigen Lebensentscheidungen Lehre und Mahnung gewesen ist.« Eine Begrüßung, die gewiß schmeichlerisch und fast ehrerbietig klingen mochte, wenn man. nicht wußte (und Bernard wußte es sehr genau), daß eine der wichtigsten Lebensentscheidungen Williams gerade die Absage an den Beruf des Inquisitors gewesen war. Aus der Art, wie die beiden Männer einander musterten, schloß ich nichts Gutes: Wenn William sein Gegenüber am liebsten in einem kaiserlichen Verlies gesehen hätte, so wäre es Bernard gewiß eine Freude gewesen, sein Gegenüber von einem plötzlichen Schicksal ereilt auf der Stelle tot umfallen zu sehen. Und da Bernard in diesen Tagen über eine Schar Bewaffneter gebot, begann ich um das Leben meines verehrten Meisters zu fürchten.
    Bernard mußte vom Abt bereits über die Verbrechen in der Abtei informiert worden sein, denn während er so tat, als hätte er das Gift in Williams Worten nicht wahrgenommen, sagte er gemessen: »Es scheint, daß ich mich in diesen Tagen, auf Wunsch des Abtes und um die mir anvertraute Aufgabe im Interesse und zum Wohl unseres Treffens zu erfüllen, mit überaus traurigen Vorfällen in diesen Mauern beschäftigen muß, Vorfällen, die den pestilenzialischen Schwefelgeruch des Satans ausströmen. Ich erwähne das, weil ich weiß, daß Ihr Euch einst, als Ihr mir näher standet, an meiner und meinesgleichen Seite auf jenem Felde geschlagen habt, auf welchem die Heerscharen des Guten mit denen des Bösen ringen.«
    »In der Tat«, versetzte William, »aber dann bin ich zur anderen Seite übergegangen.«
    Bernard steckte auch diesen Hieb ein, ohne mit der Wimper zu zucken. »Könnt Ihr mir etwas Nützliches sagen über diese schlimmen Delikte?«
    »Leider nein«, erwiderte William höflich. »Mir fehlt Eure Erfahrung in schlimmen Delikten.«
     
    Nach dieser Begrüßung gingen die Herren auseinander, und ich verlor ihre Spuren. William begab sich nach einer weiteren kurzen Besprechung mit Michael und Ubertin ins Skriptorium, wo

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