Der Name der Rose
gehört und blickte zutiefst erschrocken abwechselnd auf meinen Meister und auf den Botanikus. Dann heftete er sich an Severins Fersen. Unschlüssig auf der Schwelle verharrend sah ich ihm nach, während Jorge bereits im Nebel zu verschwinden begann. Rasch überlegte ich, was ich tun sollte. Zwar hatte mir William aufgetragen, dem Blinden zu folgen, aber gewiß in der Annahme, daß er zum Hospital gehen werde. Indessen sah ich Jorge mit seinem Begleiter in eine andere Richtung entschwinden, nämlich zum Kreuzgang, um vielleicht in die Kirche oder ins Aedificium zu gehen. Der Cellerar hingegen verfolgte mit Sicherheit den Botanikus, und William war in erster Linie am Geschehen im Hospital interessiert. So beschloß ich kurzerhand, dem Botanikus und dem Cellerar zu folgen, nicht ohne mich zu fragen, wohin Aymarus gegangen sein mochte, auch wenn er vielleicht aus ganz anderen Gründen als wir den Saal verlassen hatte.
Ich folgte dem Cellerar in gebührendem Abstand, gerade nahe genug, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Er verlangsamte seinen Schritt, als er mich bemerkte. Zwar konnte er nicht erkennen, ob ich der Schemen war, der sich da an seine Fersen geheftet hatte, so wie ich meinerseits nicht erkennen konnte, ob er der Schemen war, an dessen Fersen ich mich geheftet, aber wie ich an seiner Person nicht zweifelte, so zweifelte sicher auch er nicht an der meinen.
Indem ich ihn allerdings zwang, sich immer wieder meiner Person zu vergewissern, hinderte ich ihn daran, dem Botanikus allzu dicht auf den Fersen zu bleiben. So kam es, als schließlich das Hospital vor uns aus dem Nebel auftauchte, daß die Tür bereits wieder geschlossen war. Gott sei Dank, dachte ich, Severin war also schon in Sicherheit. Remigius blieb unschlüssig stehen, sah sich erneut nach mir um, der ich jetzt reglos zwischen den Bäumen des Gartens verharrte, und ging dann nach kurzem Zögern eilends in Richtung der Küche davon. Ich glaubte, meine Mission erfüllt zu haben, schließlich war Severin ein vernünftiger Mann, der selbst auf sich aufpassen konnte und gewiß niemandem öffnen würde, und da ich nichts weiter zu tun hatte (und natürlich darauf brannte, den Fortgang der Ereignisse im Kapitelsaal mitzuerleben), beschloß ich zurückzugehen und William Bericht zu erstatten. Vielleicht war das falsch gewesen, ich hätte noch länger auf Wachtposten bleiben sollen, und manches weitere Unglück wäre uns möglicherweise erspart geblieben …
Auf meinem Rückweg durch den Nebel stieß ich beinahe mit Benno zusammen, der mich komplizenhaft angrinste: »Nicht wahr, Severin hat was gefunden, das von Berengar stammt …«
»Was weißt du denn davon?« sagte ich grob und sprach ihn unwillkürlich wie einen Gleichaltrigen an, teils aus Ärger, teils wegen seines jugendlichen Gesichtes, das jetzt noch verjüngt wurde durch einen Ausdruck fast kindlicher Arglist.
»Ich bin ja schließlich nicht blöd«, erwiderte er. »Severin rennt zu William, um ihm etwas Wichtiges mitzuteilen, und du paßt auf, daß ihm keiner folgt …«
»Und du beobachtest uns zuviel, uns und den Meister Botanikus«, fauchte ich ärgerlich.
»Ich? Natürlich beobachte ich euch! Seit vorgestern habe ich weder das Badehaus noch das Hospital aus den Augen gelassen. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich reingegangen. Ich würde ein Auge hergeben aus meinem Kopf, um zu erfahren, was Berengar in der Bibliothek gefunden hat!«
»Du willst zuviel wissen, was dich nichts angeht. Du hast kein Recht …«
»So, meinst du? Ich bin ein Studiosus, ich habe ein Recht, diese Dinge zu wissen. Ich bin von weither gekommen, von den Rändern der Welt, um diese Bibliothek hier kennenzulernen, und diese Bibliothek hier bleibt mir verschlossen, als enthielte sie üble Dinge, und ich …«
»Ach laß mich gehen!« fuhr ich ihn an.
»Schon gut, ich laß dich ja gehen, du hast mir genug gesagt.«
»Ich?«
»Klar, man redet auch, wenn man schweigt.«
»Ich rate dir, geh nicht ins Hospital!« warnte ich ihn.
»Beruhige dich, ich gehe nicht rein. Aber niemand kann mir verwehren, hier draußen zu wachen.«
Ärgerlich ließ ich ihn stehen und ging davon. Dieser Neugierige schien mir keine große Gefahr zu sein. Kurz darauf erreichte ich William und setzte ihn mit knappen Worten ins Bild. Er nickte zustimmend und bedeutete mir zu schweigen. Der Tumult hatte sich inzwischen wieder gelegt, die Legaten der beiden Seiten waren gerade dabei, einander den Friedenskuß zu geben. Der Bischof von
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