Der Name der Welt
– in Ihren Büchern, meine ich – sind die Menschen irgendwie auch moralisch … äh.» Er schwächelte. «Moralisch distanziert.»
«Oha! Moment mal!»
«Das klingt jetzt blöd. Vielleicht bin ich mir nicht ganz im Klaren darüber, was ich meine.» Seth schüttelte verlegen den Kopf.
«Nein. Nein. Bitte jetzt nicht kneifen. Was meinen Sie denn? Warum sollte mich dieser Vorwurf treffen?»
«Oder, na ja, dann sage ich lieber mal, die Figuren geben moralisch nichts her.»
«Kommen Sie, Seth. Das sind fiktive Figuren. Erhoffen Sie sich wirklich moralische Lektionen von Menschen, die nicht existieren?»
«Sie muten ihnen doch gar nicht erst zu, im eigenen Dreck zu wühlen und herauszufinden, was richtig und was falsch ist. Nicht wie früher – nicht, wie Sie es einst getan haben.»
Kit, der für gewöhnlich ein charmanter Mensch zu sein schien, wurde, während sein Bewunderer sich zu erklären versuchte, plötzlich sehr unattraktiv, irgendwie spitz und pfäffisch. Ein Mundwinkel, das muss ich wirklich sagen, zuckte vor karikaturesk überzeichneter Bosheit, als wäre Kit als Erster und ganz allein bei dieser Dinnerparty eingetroffen, hätte überall Fallen aufgestellt und Seth wäre gerade in eine hineingetreten. Tatsächlich sah der junge Mann so elend aus wie jemand, der irgendwo kopfüber baumelt.
«Schauen Sie», sagte Kit. «Sie reden über meine Bücher, als wären es Artefakte. Vielleicht sind Ihre das ja. Vielleicht sind Ihre Bücher Artefakte, und vielleicht dienen sie Ihnen als Währung für verschiedene Transaktionen, von denen ich mir keine Vorstellung machen kann, weil ich Sie nicht kenne. Die Entscheidung darüber, ob an diesen Transaktionen etwas faul ist oder nicht, liegt ganz bei Ihnen. Ich kann doch nicht Ihr Ankläger sein.» Aber er sagte das, als brächte er eben doch eine Art Anklage vor, die keiner von uns, keiner außer Seth verstehen konnte. Ich glaube, es war bloß eine rhetorische Finte, und ich bezweifle, dass Seth den Vorwurf besser verstand als wir anderen. Kit war lediglich schon häufiger in diese Ecke gedrängt worden und wusste, wie er sich herausboxen konnte, ohne auch nur ein einziges Argument vorbringen zu müssen, das Sinn ergab.
Nachdem er sich über den Tisch gebeugt hatte, um dem Burschen erst mal so richtig auf die Pelle zu rücken und dem Gespräch diesen linken Dreh zu geben, setzte er sich wieder hin.
Seth sagte: «Mein Buch … Es gibt nur eines, und ich weiß nicht, ob es wirklich wert ist, dass man darüber spricht.»
«Dann sprechen wir eben nicht über Ihr Buch.» Inzwischen war es am ganzen Tisch still geworden, und da Nickerson offenbar merkte, dass er einen zu barschen Ton angeschlagen hatte, fugte er matt hinzu: «Andrew, Andrew, meine Bücher sind keine Artefakte. Ich streife sie ab wie abgestorbene Haut. Sie sind organisch aus dem Leben hervorgegangen.»
«Na … gut, okay.» Seth hatte nicht mehr den Mumm, ihm zu sagen, dass er nicht Andrew hieß.
Es blieb still. Kits Blick schweifte zu Kellys Tischende hin, suchte vielleicht etwas Halt durch Bestätigung. Er blieb an Tiberius Soames hängen, der gefühlsmäßig so in Wallung war, dass sein Gesicht im Kerzenlicht in schneller Folge Größe und Form zu wechseln schien. «Abgestorbene Haut», brachte Soames nur heraus. Er hustete ein paar Mal heftig, seufzte gereizt und schaute weg von uns, weg von alldem. «Abgestorbene Haut!»
«Es sind Abfallprodukte», sagte Nickerson über seine Bücher.
Das war so ziemlich am Ende des Essens, ob vor oder nach dem Nachtisch, weiß ich nicht mehr. So um die Zeit, wenn der Digestif gereicht wird. Zufällig blickte ich durch die für kurze Zeit geöffnete Küchentür, wo Joan, also Mrs. Martin Peele, Ehefrau des Dekans der Philosophischen Fakultät und Herrin des Hauses, sich mit Eloise beriet, die für fast alle Fakultätsessen das Catering machte. Eloise war ein Original, eine sehr kleine, quicklebendige Frau, immer zynisch und immer mit einer Zigarette im Mund. Sie hatte ein rundes Peter-Lorre-Gesicht und einen schmallippigen Peter-Lorre-Mund. Alles, was sie zu ihrem weltlichen Glück brauchte, war ein dreißig Zentimeter langer Zigarettenhalter. Mrs. Peele sah gut durchblutet und glücklich aus. Auf ihrer Party stritten Genies. Direkt hinter dem Rücken unserer Gastgeberin hielt Flower Cannon sich eine Flasche, die nach Drambuie aussah, an den Mund, kippte einen Schluck, atmete kräftig aus und stellte sie auf ein Tablett. Ich glaubte, dass sie dabei direkt zu
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