Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
Tarbean hatte mich Pragmatismus gelehrt. Die Chandrian töten? Lanre töten? Wie sollte ich das anstellen? Da konnte ich eher versuchen, den Mond zu stehlen. Vom Mond wusste ich wenigstens, wo er des Nachts zu finden war.
    Eines jedoch konnte ich tun. Am nächsten Tag würde ich Skarpi nach der Wahrheit hinter seinen Geschichten befragen. Das war nicht viel, aber es war alles, was mir blieb. Vergeltung ging über meine Möglichkeiten, zumindest vorläufig. Aber mir blieb die Hoffnung darauf, die Wahrheit zu erfahren.
    Die ganze Nacht hindurch klammerte ich mich an diese Hoffnung, bis die Sonne aufging und ich einschlief.

Kapitel 28
    Tehlus wachsamer Blick

    A m nächsten Tag erwachte ich von Glockengeläut. Ich zählte vier Glockenschläge, wusste aber nicht, wie viele ich verschlafen hatte. Ich blinzelte mir den Schlaf aus den Augen und versuchte anhand des Sonnenstands abzuschätzen, wie spät es war. Ungefähr sechs Uhr. Skarpi würde jetzt mit seiner Geschichte beginnen.
    Ich rannte durch die Straßen. Meine nackten Füße preschten über holpriges Pflaster, platschten durch Pfützen, nahmen Abkürzungen durch enge Gassen. Alles rings um mich her verschwamm, und ich sog die muffige Stadtluft tief in meine Lungen.
    Ich platzte förmlich in den Halbmast hinein und lehnte mich dann in der Nähe des Eingangs an die Rückwand des Lokals. Mir war vage bewusst, dass sich mehr Leute im Schankraum aufhielten als sonst zu so früher Stunde. Dann nahm Skarpis Geschichte mich gefangen, und ich konnte weiter nur noch seiner tiefen Stimme lauschen und seinen funkelnden Augen zusehen.

    »… Selitos, der Einäugige, trat vor und sprach: ›Herr, wenn ich das tue, werde ich dann die Macht erlangen, den Verlust der leuchtenden Stadt zu rächen? Kann ich dann die Pläne Lanres und seiner Chandrian vereiteln, die all die unschuldigen Menschen getötet und mein geliebtes Myr Tariniel niedergebrannt haben?‹
    Aleph sprach: ›Nein. Alles Persönliche muss außer Acht bleiben, und Ihr dürft nur noch bestrafen oder belohnen, wovon Ihr von heute an persönlich Zeuge geworden seid.‹
    Selitos neigte das Haupt. ›Es tut mir leid, aber mein Herz sagt mir, dass ich versuchen muss, diese Dinge zu verhindern, statt sie geschehen zu lassen und anschließend zu bestrafen.‹
    Einige der Ruach murmelten zustimmend und stellten sich an Selitos Seite, denn sie erinnerten sich an Myr Tariniel, und Lanres Verrat erfüllte sie mit Wut und Kummer.
    Selitos trat zu Aleph und kniete vor ihm nieder. ›Ich muss ablehnen, denn ich kann nicht vergessen. Aber ich werde mich ihm mit diesen treuen Ruach an meiner Seite entgegenstellen. Ihre Herzen sind rein, das sehe ich. Wir werden uns die Amyr nennen, zur Erinnerung an die untergegangene Stadt. Wir werden Lanre und alle, die ihm nachfolgen, vernichten. Nichts wird uns davon abhalten, dieses große Ziel zu erreichen.‹
    Die meisten Ruach hielten jedoch Abstand zu Selitos. Sie hatten Angst und wollten nicht in diese große Angelegenheit verwickelt werden.
    Doch Tehlu trat vor und sprach: ›Mir liegt zuallererst die Gerechtigkeit am Herzen. Ich werde diese Welt hinter mir lassen, auf dass ich ihr – und dir – besser zu dienen vermag.‹ Er kniete vor Aleph nieder, das Haupt gesenkt, die Hände geöffnet.
    Auch andere traten vor. Tall Kirel, der den Brand von Myr Tariniel überlebt hatte. Deah, die in den Kämpfen zwei Ehemänner verloren hatte und deren Gesicht, Mund und Herz hart und kalt wie Stein waren. Enlas, der nie ein Schwert trug, nie das Fleisch der Tiere aß und von dem niemand je ein böses Wort gehört hatte. Die schöne Geisa, die in Belen hundert Freier gehabt hatte, ehe dort die Mauern fielen. Lecelte, der gern und oft lachte, selbst im tiefsten Kummer noch. Imet, fast noch ein Knabe, der niemals sang und mit flinker Hand tötete, ohne Tränen zu vergießen. Ordal, die Jüngste von allen, die nie jemanden hatte sterben sehen, trat tapfer vor Aleph, ihr güldenes Haar von Bändern gehalten. Und neben ihr ging Andan, dessen Gesicht eine Maske mit glühenden Augen war und dessen Name ›Wut‹ bedeutete.
    Sie alle traten vor Aleph, und er berührte sie. Er berührte ihre Hände, Augen und Herzen. Als er sie das letzte Mal berührte, tat es weh, und ihnen wuchsen Flügel, auf dass sie fliegen konnten, wohinsie wollten. Flügel aus Feuer und Schatten. Flügel aus Eisen und Glas. Flügel aus Stein und Blut.
    Dann sprach Aleph ihre vollständigen Namen, und ein weißes Feuer hüllte sie

Weitere Kostenlose Bücher