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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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ein. Das Feuer flackerte über ihre Flügel und verlieh ihnen Schnelligkeit. Das Feuer flackerte in ihren Augen, und sie vermochten bis in den Herzensgrund der Menschen zu sehen. Das Feuer erfüllte ihre Münder, und sie sangen machtvolle Lieder. Dann flackerte das Feuer auf ihrer Stirn, und sie wurden gerecht und weise und schrecklich anzusehen. Dann verzehrte sie das Feuer, und sie waren für alle Zeit den Blicken der Sterblichen entzogen.
    Nur die Allermächtigsten vermögen sie zu sehen, und auch das nur unter großen Schwierigkeiten und Gefahren. Sie sprechen Recht auf der Welt, und Tehlu ist der Größte von ihnen –«

    »Ich habe genug gehört.« Der Mann sprach nicht laut, hätte genauso gut aber auch brüllen können. Wenn Skarpi eine Geschichte erzählte, war jede Unterbrechung, als beiße man bei einem Mund voll Brot auf einen Stein.
    Aus dem Hintergrund schritten zwei Männer in dunklen Umhängen nach vorn an den Tresen – der eine groß und stolz, der andere klein und mit einer Kapuze auf dem Kopf. Im Gehen sah ich unter ihren Umhängen graue Gewänder: Tehlanerpriester. Und schlimmer noch, ich erblickte zwei weitere Männer, die unter dem Umhang eine Rüstung trugen. Solange sie saßen, hatte ich sie nicht gesehen, doch nun, da sie vortraten, war es offensichtlich, dass es sich um Kirchenschergen handelte. Sie blickten grimmig, und der Faltenwurf ihrer Umhänge verriet mir, dass sie Schwerter trugen.
    Ich war nicht der Einzige, der das sah. Die Kinder verließen rasch eins nach dem andern den Saal. Die Klügeren unter ihnen versuchten sich den Anschein der Beiläufigkeit zu geben, einige andere liefen los, noch ehe sie an der Tür angelangt waren. Drei Kinder blieben, dem gesunden Menschenverstand zum Trotz: Ein Kealdenjunge mit Spitzenbesatz am Hemd, ein kleines, barfüßiges Mädchen und ich.
    »Ich glaube, wir haben alle genug gehört«, sagte der größere der beiden Priester streng. Er war hager und hatte tief liegende Augen, die wie halb verborgene Kohlen glommen. Ein sorgfältig gestutzter, rußfarbener Bart umrahmte seinen kantigen Kiefer.
    Er reichte dem kleineren Priester, der die Kapuze trug, seinen Umhang. Darunter kam das hellgraue Gewand der Tehlaner zum Vorschein. An einer Halskette trug er eine silberne Waage. Mir wurde bang ums Herz. Er war nicht nur Priester, sondern auch Richter. Die beiden anderen Kinder machten sich nun auch aus dem Staub.
    Der Richter erhob die Stimme: »Unter Tehlus wachsamem Blick beschuldige ich dich der Häresie.«
    »Ich bin Zeuge«, sagte der zweite Priester unter seiner Kapuze hervor.
    Der Richter gab den Schergen einen Wink. »Fesselt ihn.«
    Die Schergen machten sich ans Werk. Skarpi erduldete das Ganze mit großer Gelassenheit und ohne ein Wort zu sagen.
    Der Richter wandte sich ein wenig ab, so als wollte er den Geschichtenerzähler aus seinen Gedanken verbannen. Er ließ den Blick einmal quer durch den Schankraum schweifen und heftete ihn schließlich auf den glatzköpfigen, mit einer Schürze angetanen Mann hinterm Tresen.
    »T-Tehlu zum Gruße!«, stammelte der Wirt des Halbmast .
    Der Richter erwiderte nichts. Er sah sich noch einmal im Raum um. Schließlich wandte er sich an den zweiten Priester, der ein gutes Stück vom Tresen entfernt stand. »Anthony, würde ein anständiges Lokal wie das hier Ketzern Unterschlupf gewähren?«
    »Alles ist denkbar.«
    »Ahhh«, sagte der Richter leise, sah sich noch einmal langsam im Raum um und ließ den Blick schließlich erneut auf dem Mann hinter dem Tresen ruhen.
    »Darf ich Euer Ehren etwas zu trinken anbieten?«, fragte der Wirt hastig.
    Schweigen.
    »Ich meine … etwas zu trinken für Euch und Eure Brüder. Ein schönes Fässchen Weißen Fallow? Um meine Dankbarkeit zu bezeugen. Ich habe ihn hier geduldet, weil seine Geschichten interessantwaren – zunächst.« Er schluckte und beeilte sich hinzuzufügen: »Doch dann fing er an, gottloses Zeug zu reden. Ich habe nicht gewagt, ihn rauszuschmeißen, denn er ist ja offenkundig wahnsinnig, und jedermann weiß doch, dass Gottes Missfallen schwer auf jedem lastet, der die Hand gegen einen Wahnsinnigen erhebt …« Ihm brach die Stimme, und im Saal war es mit einem Mal sehr still.
    »Ein großzügiges Angebot«, sagte der Richter schließlich.
    »Äußerst großzügig«, pflichtete der kleinere Priester bei.
    »Aber alkoholische Getränke verführen die Menschen manchmal zu gottlosen Taten. Und einige unserer Brüder haben Gelübde wider die

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