Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
könnte.«
    Lanre ließ die Schultern hängen. »Ich hatte darauf gehofft«, sagte er. »Wenn auch wider besseres Wissen. Ich bin nicht mehr der Lanre,den du kanntest. Ich habe jetzt einen neuen, schrecklichen Namen. Ich bin Haliax, und keine Tür kann mir den Weg versperren. Mir bleibt nichts mehr – keine Lyra, kein süßer Schlaf, kein seliges Vergessen, ja sogar über den Wahnsinn bin ich hinaus. Der Tod ist für meine Macht ein offenes Tor. Es gibt kein Entkommen. Mir bleibt nur, auf das große Nichts zu hoffen, nachdem alles untergegangen ist und die Aleu namenlos vom Himmel gefallen sind.« Und als er das sagte, verbarg Lanre das Gesicht in den Händen, und sein ganzer Leib wurde von Schluchzen geschüttelt.
    Selitos sah hinaus über das Land und entdeckte ein kleines Fünkchen Hoffung. Sechs Rauchwolken stiegen dort drunten auf. Myr Tariniel war zerstört, ebenso wie sechs weitere Städte. Das bedeutete aber, dass noch nicht alles verloren war. Eine Stadt war noch übrig …
    Trotz allem, was geschehen war, empfand Selitos Mitleid mit Lanre, und als er das Wort ergriff, klang seine Stimme traurig. »Dann bleibt also gar nichts? Keine Hoffnung?« Er legte Lanre eine Hand auf den Arm. »Es gibt auch Schönes im Leben. Auch nach all dem werde ich dir helfen, danach zu suchen. Wenn du denn willst.«
    »Nein«, sagte Lanre. Er richtete sich zu voller Größe auf, und sein Gesicht blickte trotz all dem Gram majestätisch. »Es gibt nichts Schönes. Ich werde Salz säen, auf dass das Unkraut vergehe.«
    »Dann tut es mir leid«, sagte Selitos und richtete sich ebenfalls auf.
    Dann sprach er mit lauter Stimme: »Niemals zuvor wurde mein Blick getrübt. Ich habe die Wahrheit in deinem Herzen nicht gesehen.«
    Er atmete tief durch. »Mein Auge hat mich getäuscht.« Er hob den Quarzklumpen und rammte sich die Spitze ins Auge. Sein Schrei hallte von den Felsen wider, und er fiel keuchend auf die Knie. »Möge ich nie wieder so blind sein.«
    Eine große Stille sank hernieder, und Selitos löste sich aus den Fesseln des Zauberbanns. Er warf den Stein Lanre vor die Füße und sagte: »Mit der Macht meines Blutes binde ich dich. Bei der Macht deines Namens seist du verflucht.«
    Selitos sprach den langen Namen aus, den Lanre im Herzen trug, und bei diesem Laut verdunkelte sich die Sonne, und der Wind riss Felsbrocken von den Hängen.
    Dann sagte Selitos: »Dies sei der Fluch, den ich dir auferlege. Möge dein Antlitz stets von einem Schatten umhüllt sein, so schwarz wie die eingestürzten Türme meines geliebten Myr Tariniel.
    Dies sei der Fluch, den ich dir auferlege. Dein eigener Name werde gegen dich gerichtet, und du wirst nimmermehr Frieden finden.
    Dies sei der Fluch, den ich dir auferlege – dir und allen, die dir folgen. Möge er andauern bis zum Ende der Welt, bis die Aleu namenlos vom Himmel fallen.«
    Selitos sah zu, wie sich eine Dunkelheit um Lanre zusammenzog. Bald war von seinen Gesichtszügen nichts mehr zu erkennen, sah man nur noch vage eine Nase, einen Mund und zwei Augen. Der Rest verschwand in schwarzem Schatten.
    Selitos erhob sich und sprach: »Du hast mich einmal überlistet, aber ein zweites Mal wird dir das nicht gelingen. Ich sehe jetzt deutlicher als je zuvor, und du unterstehst meiner Macht. Ich kann dich nicht töten, aber ich kann dich von hier fortschicken. Hinweg mit dir! Dein Anblick ist umso widerlicher, da ich weiß, wie erhaben er einst war.«
    Doch schon als er sie aussprach, schmeckten ihm diese Worte bitter. Lanre, das Gesicht in einen Schatten gehüllt, der dunkler war als eine sternenlose Nacht, wurde fortgeweht wie Rauch im Wind.
    Da senkte Selitos das Haupt und weinte heiße, blutige Tränen.

    Erst als Skarpi verstummte, merkte ich, wie versunken ich ihm gelauscht hatte. Er hob den Kopf und trank den letzten Schluck Wein. Dann drehte er den Tonkrug um und stellte ihn mit einem vernehmlichen Laut auf den Tresen.
    Von den Kindern, die während der ganzen Geschichte wie versteinert dagesessen hatten, prasselten nun Fragen, Bemerkungen, Bitten und Dankesbezeigungen auf Skarpi ein. Der gab dem Wirt einen Wink und bekam daraufhin einen Krug Bier gezapft. Die Kinder gingen nun nach und nach auf die Straße hinaus.
    Ich wartete, bis das letzte Kind gegangen war, bevor ich zu ihm ging. Er richtete seine diamantblauen Augen auf mich, und ich stammelte: »Danke. Ich wollte Euch danken. Meinem Vater hätte die Geschichte sehr gefallen. Es ist …« Ich verstummte. »Ich wollte Euch

Weitere Kostenlose Bücher