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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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passten wie angegossen. Ich hatte ganz vergessen, wie wunderbar sich ein guter Schuh anfühlen kann. »Was kosten die?«, fragte ich ängstlich.
    Statt mir zu antworten, erhob er sich und ließ den Blick über die Regale schweifen. »Die Füße verraten einem viel über einen Menschen«, sagte er nachdenklich. »Manche Männer kommen lächelnd hier herein, mit blank geputzten Schuhen und frisch gepuderten Strümpfen. Doch wenn sie die Schuhe ausziehen, stinken ihre Füße abscheulich. Das sind Leute, die etwas zu verbergen haben. Sie haben stinkende Geheimnisse und versuchen sie zu verbergen, genau wie sie ihre Füße verbergen.«
    Er sah mich an. »Aber das funktioniert nicht. Fußgestank kann man nur verhindern, indem man ab und zu Luft an die Füße lässt. Mit den Geheimnissen könnte es sich so ähnlich verhalten, aber das weiß ich nicht. Ich kenne mich nur mit Schuhen aus.«
    Er sah sich in dem Durcheinander auf seiner Werkbank um. »Manche der jungen Herren vom Hofe kommen hier herein, fächeln sich das Gesicht und jammern, was für Tragödien sie gerade wieder erlebt hätten. Ihre Füße aber sind rosig und weich. Man merkt, dass sie nie barfuß gehen mussten. Man merkt, dass ihnen nie wirkliches Leid widerfahren ist.«
    Schließlich fand er, was er suchte, und hielt ein Paar Schuhe empor, die denen ähnelten, die ich trug. »Die haben meinem Jacob gehört, als er in deinem Alter war.« Er setzte sich wieder auf den Schemel und schnürte mir die Schuhe auf.
    »Und du«, fuhr er fort, »hast für einen Jungen deines Alters alte Fußsohlen – voller Narben und Schwielen. Mit solchen Füßen kann man den ganzen Tag lang barfuß über Steine laufen. Und es gibt nur eine Möglichkeit, wie ein Junge deines Alters solche Füße bekommt.«
    Er sah mir in die Augen, und so wurde daraus eine Frage. Ich nickte.
    Er lächelte und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Wie fühlen die sich an?«
    Ich stand auf, um sie auszuprobieren. Sie waren sogar noch bequemer als das neuere Paar, denn sie waren schon ein wenig eingelaufen.
    »Also, dieses Paar –« Er schwenkte die Schuhe, die er mir eben ausgezogen hatte. »– ist nagelneu, und für solche neuen Schuhe berechne ich ein Talent oder mehr.« Er zeigte auf meine Füße. »DieseSchuhe hingegen sind gebraucht, und gebrauchte Schuhe verkaufe ich nicht.«
    Er kehrte mir den Rücken zu, kramte ziellos auf seiner Werkbank herum und summte dabei eine Melodie. Ich brauchte einen Moment, bis ich das Lied erkannte. Verlass die Stadt, Kessler .
    Mir war klar, dass er mir einen Gefallen tun wollte, und eine Woche zuvor hätte ich die Gelegenheit sofort beim Schopf ergriffen. Doch nun erschien es mir nicht mehr richtig. Ich nahm leise meine Sachen und legte, ehe ich ging, ein paar Kupfermünzen auf den Schemel.
    Warum tat ich das? Weil Stolz eine seltsame Sache ist, und weil man Großzügigkeit mit Großzügigkeit vergelten sollte. Vor allem aber, weil es mir richtig erschien, und das ist Grund genug.

    »Vier Tage. Sechs, wenn’s regnet.«
    Roent war der dritte Fuhrmann, den ich wegen der Fahrt nach Imre ansprach, der nächstgelegenen Stadt der Universität. Er war ein untersetzter Kealde mit einem buschigen schwarzen Vollbart, der einen Großteil seines Gesichts bedeckte. Er wandte sich ab und schimpfte bellend auf Siaru mit einem Mann, der Kleiderballen auf einen Wagen lud. In seiner Muttersprache hörte er sich an wie ein Bergsturz.
    Das ging in ein leises Poltern über, als er sich wieder an mich wandte. »Zwei Kupferstücke. Wenn Platz ist, darfst du auf einem Wagen mitfahren. Und nachts darfst du unter einem Wagen schlafen, wenn du magst. Du isst abends mit uns. Mittags gibt es nur Brot. Und wenn ein Wagen stecken bleibt, hilfst du schieben.«
    Er brüllte wieder seine Leute an. Drei Wagen wurden mit Handelswaren beladen, und der vierte Wagen war mir schmerzlich vertraut. Es war eines jener Häuser auf Rädern, in denen ich einen Großteil meiner Kindheit verbracht hatte. Roents Frau Reta saß auf dem Kutschbock, und sie setzte eine strenge Miene auf, wenn sie die Männer beaufsichtigte, nahm aber ein Lächeln an, wenn sie mit einem Mädchen sprach, das bei ihr stand.
    Ich nahm an, dass das Mädchen wie ich ein Fahrgast war. Sie war in meinem Alter, vielleicht ein Jahr älter, wobei ein Jahr in diesem Alter einen großen Unterschied macht. Die Tahl haben ein Sprichwort über Jugendliche in unserem Alter: Der Junge wächst, das Mädchen wächst heran .
    Sie trug

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