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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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es und versuchte zu ergründen, woher es kam, doch nach fünf Minuten verlor ich die Nerven, bog in eine Seitenstraße ab und beobachtete von dort aus die Passanten, um zu sehen, wer mir folgte.
    Niemand. Ich brauchte eine nervenaufreibende halbe Stunde und zwei weitere Seitenstraßen, bis ich endlich verstand, was es war.
    Es war ein sehr seltsames Gefühl, im Strom der Menschen mitzugehen.
    Menschenmengen waren in den vergangenen Jahren für mich ein Teil des Stadtbilds gewesen. Ich nutzte sie, um mich vor Händlern oder Polizisten zu verbergen. Ich bewegte mich auch schon einmal durch eine Menschenmenge hindurch , um an mein Ziel zu gelangen.Ich ging vielleicht sogar einmal in die gleiche Richtung wie eine Menschenmenge, aber ich war nie Teil dieser Menge.
    Ich war es so gewöhnt, ignoriert zu werden, dass ich vor dem ersten Händler, der mir etwas verkaufen wollte, davonlaufen wollte.
    Als mir dann klar war, woher dieses Unbehagen rührte, schwand es recht schnell. Angst rührt oft von mangelndem Wissen her. Als ich erst einmal erkannt hatte, worin das Problem bestand, war es nur noch ein Problem und kein Grund mehr, sich zu fürchten.

    Tarbean besteht, wie gesagt, aus zwei Teilen: Hillside und Waterside. Waterside war arm, Hillside reich. In Waterside stank es, Hillside war sauber. In Waterside lebten die Diebe, in Hillside die Bankiers.
    Die Geschichte meines bis dahin einzigen Ausflugs nach Hillside habe ich ja schon erzählt. Ihr werdet daher verstehen, wie ich reagierte, als sich der Strom der Passanten auf einmal teilte und ich vor mir einen Stadtwächter erblickte. Mit pochendem Herzen huschte ich in den nächstbesten Hauseingang.
    Ich musste mich erst daran erinnern, dass ich nicht mehr das schmutzige Straßenkind war, das man Jahre zuvor verprügelt hatte. Ich war gut gekleidet und sauber. Ich sah aus, als gehörte ich hierher. Doch alte Gewohnheiten legt man nicht so leicht ab. Wut kochte in mir hoch, doch ich hätte nicht sagen können, ob ich nun wütend auf mich, den Wächter oder die Welt im Allgemeinen war. Wahrscheinlich auf alle drei.
    »Bin gleich da«, sagte eine freundliche Stimme hinter einem Vorhang.
    Ich sah mich in dem Laden um. Das Licht aus dem Schaufenster fiel auf eine Werkbank und auf Regale voller Schuhe. Ich hätte es schlechter treffen können, fand ich.
    »Lass mich raten«, sagte die Stimme. Ein grauhaariger, großväterlich wirkender Mann trat hinter dem Vorhang hervor, ein langes Stück Leder in der Hand. Er war klein und ging gebeugt. »Du brauchst Schuhe.« Er lächelte zaghaft, so als wäre dieser Scherz wie ein altes Stiefelpaar: zwar längst schon vollkommen abgenutzt, aberzu bequem, um darauf zu verzichten. Er sah auf meine Füßen. Ich guckte ebenfalls hin.
    Ich war natürlich barfuß. Ich hatte schon so lange keine Schuhe mehr getragen, dass ich gar nicht mehr darüber nachdachte. Zumindest im Sommer nicht. Im Winter träumte ich von Schuhen.
    Ich hob den Blick. Die Augen des alten Mannes funkelten, so als könnte er sich nicht entscheiden, ob ihn ein Lachen diesen Kunden kosten würde oder nicht. »Ja, ich brauche Schuhe«, sagte ich.
    Er lachte, ließ mich Platz nehmen und maß mit den Händen meine nackten Füße. Glücklicherweise waren die Straßen trocken und meine Füße daher nur staubig. Wenn es geregnet hätte, wären sie peinlich schmutzig gewesen.
    »Dann wollen wir mal sehen, was dir gefällt und ob ich in deiner Größe etwas habe. Wenn nicht, kann ich in ein, zwei Stunden ein Paar machen oder entsprechend abändern. Also, was für Schuhe hättest du denn gern? Zum Gehen? Zum Reiten? Zum Tanzen?« Er lehnte sich auf seinem Schemel zurück und nahm ein Paar aus dem Regal.
    »Zum Gehen.«
    »Dacht’ ich’s mir doch.«
    Geschickt streifte er mir ein Paar Strümpfe über, so als ob alle Kunden barfuß zu ihm kämen. Dann steckte er meine Füße in etwas Schwarzes mit Schnallen. »Wie fühlen die sich an?«
    »Ich –«
    »Zu eng. Dachte ich mir schon. Es gibt doch nichts Enervierenderes als einen drückenden Schuh.« Er zog sie mir aus und probierte es mit einem anderen Paar. »Wie ist es mit diesen?«
    Sie waren dunkelrot und aus Samt oder Filz.
    »Die –«
    »Sind nicht so ganz das, was dir vorschwebt? Das kann ich dir wirklich nicht verübeln, die sind schrecklich schnell abgelaufen. Aber eine schöne Farbe und genau das Richtige für einen Kavalier.« Er zog mir ein weiteres Paar an. »Wie sind die?«
    Sie waren ganz schlicht, aus braunem Leder, und

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