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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Ich war ein richtiger Flegel.
    In Wirklichkeit hätte ich gar nicht zufriedener sein können. Die Kleider waren schlicht, aber gute Qualität. Und angesichts dessen, was ich noch eine Stunde zuvor getragen hatte, wäre schließlich schon ein sauberer Leinsack ein immenser Fortschritt gewesen.
    Wenn ihr nicht viel Zeit an Höfen oder in großen Städten verbracht habt, werdet Ihr kaum verstehen, warum es so einfach für mich war, das zu erreichen. Lasst mich das erklären.
    Adelssöhne gehören neben Überschwemmungen und Wirbelstürmen zu den zerstörerischsten Naturgewalten. Wenn der gemeine Mann von einer solchen Katastrophe getroffen wird, kann er weiter nichts tun, als die Zähne zusammenbeißen und versuchen, den Schaden zu begrenzen.
    Bentley wusste das. Er steckte das Hemd und die Hose ab und half mir wieder heraus. Ich schlüpfte zurück in den Morgenmantel, den er mir gegeben hatte, und er begann zu nähen, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihm her.
    Ich warf mich wieder auf den Sessel. »Du darfst ruhig fragen. Ich merke doch, dass du vor Neugier förmlich platzt.«
    Er blickte kurz von seiner Näharbeit auf. »Sir?«
    »Die Umstände, die zu diesem Zustand der Entkleidung geführt haben.«
    »Ach so, ja.« Er war mit dem Hemd fertig und begann nun mit der Hose. »Eine gewisse Neugier ist doch nur menschlich. Aber ich ziehe es vor, mich aus den Angelegenheiten anderer Leute herauszuhalten.«
    »Ah«, sagte ich, nickte und tat enttäuscht. »Eine lobenswerte Einstellung.«
    Es folgte ein längeres Schweigen. Man hörte nur, wie der Faden durch den Stoff gezogen wurde. Ich rutschte unruhig hin und her. Schließlich sagte ich, so als hätte er mich gefragt: »Eine Hure hat meine Kleider gestohlen.«
    »Tatsächlich, Sir?«
    »Ja, sie wollte, dass ich sie gegen meinen Geldbeutel eintausche, das Miststück.«
    Bentley blickte kurz auf. »War Euer Geldbeutel denn nicht bei Euren Kleidern?«
    Ich blickte entsetzt. »Natürlich nicht! ›Ein Gentleman hat seine Börse immer griffbereit‹, sagt mein Vater immer.« Um das zu unterstreichen, fuchtelte ich mit meinem Geldbeutel.
    Ich merkte, dass Bentley sich das Lachen verkniff, und das freute mich. Ich ging dem Mann nun schon seit fast einer Stunde schwer auf die Nerven – da wollte ich ihm wenigstens eine Anekdote liefern, die er seinen Freunden erzählen konnte.
    »Sie hat gesagt, wenn ich meine Würde wahren wolle, solle ich ihr meinen Geldbeutel geben und könne dann bekleidet nach Hause gehen.« Ich schüttelte verächtlich den Kopf. »›Hör mal zu, du Drecksnutte‹, habe ich zu ihr gesagt, ›die Würde eines Mannes hat doch mit seinen Kleidern nichts zu tun. Wenn ich meinen Geldbeutel hergeben würde, um mir eine peinliche Situation zu ersparen, dann, ja, dann würde ich damit auch meine Würde hergeben.«
    Ich blickte einen Moment lang nachdenklich und sprach dann leise weiter, so als würde ich laut nachdenken. »Daraus würde ja folgen, dass die Würde eines Mannes mit seinem Geldbeutel gleichzusetzen ist.« Ich betrachtete den Beutel, den ich in der Hand hielt, und schwieg eine ganze Weile. »Ich glaube, ich habe meinen Vater kürzlich etwas in diese Richtung sagen hören.«
    Bentley lachte auf, tat dann aber, als wäre es ein Husten, erhob sich und schüttelte das Hemd und die Hose aus. »So, Sir, jetzt passt es Euch wie angegossen.« Der Anflug eines Lächelns spielte um seine Lippen, als er mir die Kleider reichte.
    Ich schlüpfte aus dem Morgenmantel und zog die Hose an. »Darin komme ich immerhin nach Hause. Was schulde ich dir für deine Mühe, Bentley?«, fragte ich.
    Er überlegte kurz. »Eins zwei.«
    Ich schnürte mein Hemd und schwieg.
    »Verzeihung, Sir«, fügte er hastig hinzu. »Ich vergaß, mit wem ich es zu tun habe.« Er schluckte. »Ein Talent reicht vollkommen.«
    Ich zog meinen Geldbeutel hervor, legte Bentley ein Silbertalent in die Hand und blickte ihm in die Augen. »Ich brauche etwas Kleingeld.«
    Sein Mund verzog sich zu einem Strich, aber er nickte und gab mir zwei Jots heraus.
    Ich steckte die Münzen ein, band mir den Geldbeutel unter dem Hemd um den Leib, warf Bentley einen bedeutsamen Blick zu und tätschelte den Beutel.
    Ich sah das Lächeln wieder um seine Lippen spielen. »Auf Wiedersehen, Sir.«
    Ich nahm mein Handtuch, verließ das Geschäft und ging nun erheblich unauffälliger zurück zu dem Wirtshaus, in dem ich gefrühstückt und gebadet hatte.

    »Was darf ich Euch bringen, Sir?«, fragte der

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