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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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schubsten ihn zurück.
    »Der Kessler!«, erklang die Stimme des alten Mannes glockengleich. »Kesselflicker, Scherenschleifer, Wünschelrutengänger. Flaschenkorken, Mutterlaub. Allerfeinste Seidentücher, Schreibpapiere, Süßigkeiten.«
    Damit zog er die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich. Sie strömten zu ihm zurück und bildeten eine kleine Formation, während er die Straße hinabging und sang: »Gürtelleder, Schwarzer Pfeffer, feine Spitze, bunte Federn. Der Kessler ist heut’ im Ort und morgen wieder fort. Er wirket noch im Abendlicht. Kommt, ihr Frauen, kommt, ihr Töchter, Tücher hat’s und Rosenwasser.« Bald darauf ließ er sich vor dem Wirtshaus nieder, baute seinen Schleifstein auf und begann ein Messer zu schärfen.
    Während sich die Erwachsenen um den alten Mann scharten, widmeten sich die Kinder wieder ihren Spielen. Das Mädchen, das sich nun in dem Kreis befand, hielt sich mit einer Hand die Augen zu und versuchte die anderen Kinder zu fangen, die fortliefen, klatschten und sangen:
    Sind die Augen schwarz und grimm,
    Oh, wohin? Oh, wohin?
    Fern und nah. Sie sind da.
    Der Kessler bediente der Reihe nach die Leute, manchmal zwei oder drei zugleich. Er tauschte scharfe Messer gegen stumpfe und etwas Kleingeld. Er verkaufte Scheren und Nadeln, Kupfertöpfe und auch kleine Fläschchen, die die Frauen nach dem Kauf schnell wegsteckten. Er tauschte Knöpfe, Zimt und Salz. Limonen aus Tinuë, Schokolade aus Tarbean, poliertes Horn aus Aerueh …
    Und die ganze Zeit über sangen die Kinder:
    Ganz gesichtslos, seht ihr die?
    Wie Gespenster schleichen sie.
    Was treibt, was treibt sie wohl an?
    Chandrian. Chandrian.

    Kote schätzte, dass die Reisenden seit gut einem Monat gemeinsam unterwegs waren, lange genug, um miteinander warm zu werden, aber noch nicht so lange, dass sie wegen jeder Kleinigkeit Streit bekamen. Sie rochen nach Straßenstaub und Pferden. Er sog diesen Geruch ein, als wäre es ein Parfüm.
    Am schönsten fand er die vielfältigen Geräusche. Das knarzende Leder. Das Gelächter der Männer. Das Knistern und Knacken im Feuer. Die scherzenden Frauen. Jemand stieß sogar einen Stuhl um. Zum ersten Mal seit langer Zeit herrschte im Wirtshaus keine Stille mehr. Und wenn doch, so war sie zu schwach, um bemerkt zu werden, oder zu gut verborgen.
    Kote war der Dreh- und Angelpunkt des Ganzen, immer in Bewegung, wie jemand, der eine große, komplizierte Maschine bedient. Er war mit den Getränken zur Hand, fast noch ehe sie bestellt waren, er erzählte und hörte zu, und das im genau richtigen Maße. Er lachte über Scherze, schüttelte Hände, lächelte und sammelte Münzen vom Tresen, als ob er dieses Geld tatsächlich nötig gehabt hätte.
    Als dann die Zeit der Lieder gekommen war und alle ihre Lieblingsweisen gesungen hatten und immer noch mehr hören wollten, dirigierte Kote sie alle vom Tresen aus und klatschte den Rhythmus dazu. Den Schein des Kaminfeuers im Haar, sang er Tinker Tanner  – mit mehr Strophen, als irgendeiner je gehört hatte, aber keiner störte sich auch nur im Geringsten daran.

    Stunden später kniete Kote vor dem Kamin und legte Holz nach, als ihn jemand von hinten ansprach.
    »Kvothe?«
    Der Wirt wandte sich mit leicht verwirrtem Lächeln um. »Wie bitte?«
    Es war einer der gut gekleideten Reisenden. Er schwankte ein wenig. »Ihr seid Kvothe.«
    »Kote, Sir«, erwiderte der Wirt in jenem nachsichtigen Tonfall, in dem Mütter mit Kindern und Wirte mit Betrunkenen reden.
    »Kvothe der Blutlose«, beharrte der Mann. »Ihr kamt mir gleich bekannt vor, aber ich bin lange nicht drauf gekommen.« Er lächelte stolz und tippte sich mit einem Finger an die Nase. »Doch als ich Euch dann singen hörte, wusste ich, dass Ihr es seid. Ich habe Eucheinmal in Imre singen hören. Da habe ich Rotz und Wasser geheult. Das war das Schönste, was ich je gehört habe.«
    Als er dann weitersprach, gerieten dem jungen Mann die Sätze durcheinander, aber seine Miene blieb ernst. »Ich wusste, dass Ihr es nicht sein könnt. Aber ich dachte, doch, das ist er. Obwohl … Aber wer sonst hat denn solches Haar?« Er schüttelte den Kopf und versuchte vergeblich, ihn auf diese Weise ein wenig klarer zu bekommen. »Ich habe den Platz in Imre gesehen, wo Ihr den Mann getötet habt. Bei dem Springbrunnen. Die Pflastersteine dort sind zerspungen.« Er runzelte die Stirn und setzte noch einmal an: » Zersprungen . Es heißt, niemand kann sie reparieren.«
    Der Reisende verstummte. Blinzelnd um klare

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