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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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für die Geschichte. Und ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll, dass meine Beschreibung nicht völlig unzulänglich bleibt.«
    »Ich … ich glaube, ich verstehe, was du meinst«, sagte Bast. »Ich habe sie schließlich gesehen. Ein Mal.«
    Kvothe lehnte sich erstaunt auf seinem Stuhl zurück. »Ja, nicht wahr? Das hatte ich ganz vergessen.« Er hielt sich beide Hände vor den Mund. »Und wie würdest du sie beschreiben?«
    Bast wurde munterer, richtete sich auf seinem Stuhl auf, blickte einen Moment lang nachdenklich und sagte dann: »Sie hatte vollkommene Ohren.« Er machte eine anmutige Geste. »Vollkommene kleine Ohren, wie geschnitzt aus … irgendwas.«
    Der Chronist lachte und schaute dann leicht verblüfft, so als wäre er über sich selbst erstaunt. »Ihre Ohren?«, fragte er, so als glaubte er, sich eventuell verhört zu haben.
    »Ihr wisst doch, wie schwierig es ist, ein hübsches Mädchen zu finden, das genau die richtigen Ohren hat«, erwiderte Bast sachlich-nüchtern.
    Der Chronist lachte wieder, und diesmal schien es ihm leichter zu fallen. »Nein«, erwiderte er. »Nein, das weiß ich nicht.«
    Bast sah den Chronisten mit einem zutiefst mitleidigen Blick an. »Nun, dann müsst Ihr es mir halt glauben. Ihre Ohren waren unglaublich schön.«
    »Ich glaube, diesen Punkt hast du jetzt ausreichend betont«, sagte Kvothe belustigt. Er schwieg einen Moment lang, und als er weitersprach, geschah es langsam, und sein Blick war in weite Ferne gerichtet. »Das Problem ist bloß, dass sie ganz anders ist als alle anderen Menschen, die ich je kennengelernt habe. Sie hatte etwas nicht Greifbares an sich, etwas Unwiderstehliches, wie die Wärme eines Feuers. Und sie war so anmutig und klug und –«
    »Und sie hatte eine krumme Nase«, unterbrach Bast die Schwärmereien seines Meisters.
    Kvothe sah ihn an, die Stirn leicht gerunzelt. »Was?«
    Bast hob abwehrend die Hände. »Das ist mir bloß aufgefallen, Reshi. In deiner Geschichte sind alle Frauen schön. Ich kann das so pauschal nicht bestreiten, denn ich habe ja nie eine von ihnen gesehen. Aber diese Frau habe ich einmal gesehen, und ihre Nase war ein wenig krumm. Und wenn wir hier ehrlich zueinander sind, war ihr Gesicht für meinen Geschmack auch ein wenig zu schmal. Sie war keine vollkommene Schönheit, Reshi. Ich muss das wissen. Auf diesem Gebiet habe ich zahlreiche Studien angestellt.«
    Kvothe starrte seinen Schüler mit ernster Miene an. »Wir sind mehr als die Summe unserer Teile, Bast«, sagte er leicht tadelnd.
    »Ich will damit nicht behaupten, dass sie nicht schön war«, beeilte sich Bast zu sagen. »Sie hat mich angelächelt. Und das war … Das ging einem durch und durch, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Ja, das verstehe ich, Bast.« Kvothe sah zu dem Chronisten hinüber. »Das Problem entsteht durch die Vergleiche. Wenn ich sage, ›Siewar dunkelhaarig‹, denkt ihr vielleicht: ›Ich kenne dunkelhaarige Frauen, und es sind auch einige schöne darunter.‹ Das aber läge weit daneben, denn diese Frauen hätten mit ihr nichts gemein. Diese anderen Frauen hätten nicht ihren Esprit und ihren Charme. Sie war anders als jeder andere Mensch, den ich je kennengelernt habe …«
    Kvothe verstummte und blickte auf seine gefalteten Hände. Er schwieg so lange, dass Bast wieder anfing, auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen und sich unruhig umzusehen.
    »Aber es hat wohl keinen Sinn, sich deswegen den Kopf zu zerbrechen«, sagte Kvothe schließlich, hob den Blick und gab dem Chronisten einen Wink. »Wenn ich das nun auch noch verderbe, macht es, aufs Große und Ganze gesehen, auch keinen Unterschied mehr.«
    Der Chronist griff zur Feder, und Kvothe begann zu sprechen, noch bevor der Chronist sie in die Tinte tunken konnte. »Sie hatte dunkle Augen. So dunkel wie Schokolade, so dunkel wie Kaffee, so dunkel wie das Holz der Laute meines Vaters. Und sie ruhten in einem schönen, ovalen Gesicht, geformt wie eine Träne.«
    Kvothe verstummte, so als wären ihm die Worte ausgegangen. Diese Stille kam so plötzlich und war so tief, dass der Chronist kurz von seinem Blatt hochblickte, was er bisher nie getan hatte. Doch schon als der Chronist den Blick hob, brach ein weiterer Wortschwall aus Kvothe hervor.
    »Bei ihrem Lächeln stockte einem das Herz. Sie hatte rote Lippen. Und das kam nicht von Lippenstift. Sie hatte immer rote Lippen, Tag und Nacht. Als ob sie nur wenige Minuten, bevor man sie erblickte, Beeren gegessen oder Herzblut getrunken

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