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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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sie nun wunderschön. Vielleicht bestand der ganze Unterschied auch darin, dass sie nicht die Reisekleidung trug, in der ich sie kennengelernt hatte, sondern ein langes Abendkleid. Aber Denna war es ohne jeden Zweifel. Ich erkannte sogar den Ring an ihrem Finger wieder, Silber mit einem hellblauen Stein.
    Seit sich unsere Wege getrennt hatten, hatte ich im geheimsten Winkel meines Herzens törichte, liebevolle Gedanken über sie gehegt. Ich hatte daran gedacht, nach Anilin zu reisen und sie dort aufzuspüren, hatte daran gedacht, wie es wohl wäre, ihr zufällig auf derStraße zu begegnen, oder wenn sie mich an der Universität suchen käme. Doch im Grunde meines Herzens wusste ich, dass diese Gedanken weiter nichts als kindische Tagträume waren. Mir war klar: Ich würde sie nie wieder sehen.
    Und da war sie nun, und ich war nicht im Mindesten darauf vorbereitet. Würde sie sich überhaupt an mich erinnern, an den unbeholfenen Jungen, mit dem sie vor so langer Zeit ein paar Tage lang gereist war?
    Denna war noch etwa vier Meter entfernt, als sie den Blick hob und mich sah. Sie strahlte mit einem Mal, als wäre in ihr eine Kerze entflammt. Sie eilte mir entgegen, legte die Distanz zwischen uns mit drei aufgeregten Schritten zurück.
    Einen Moment lang sah es aus, als würde sie mir direkt in die Arme laufen, doch im letzten Augenblick hielt sie sich zurück und sah sich zu den Leuten um, die hier saßen. Binnen eines halben Schrittes verwandelte sie ihr hocherfreutes Aufmichzustürmen in eine sittsame Begrüßung auf Armeslänge. Es geschah graziös, aber dennoch musste sie sich mit einer Hand an meiner Brust abstützen, weil sie fast das Gleichgewicht verloren hätte.
    Sie lächelte mich an. Es war ein warmes, liebliches, scheues Lächeln, wie eine Blüte, die sich öffnet. Es war freundlich und aufrichtig und auch ein wenig verlegen. Und als sie mich anlächelte, fühlte ich …
    Ich weiß wirklich nicht, wie ich es beschreiben soll. Es wäre einfacher zu lügen. Ich könnte etwas aus irgendeiner Geschichte borgen und eine Lüge auftischen, die euch so vertraut vorkäme, dass ihr sie unbesehen schlucken würdet. Ich könnte sagen: Ich bekam weiche Knie. Oder dass es mir den Atem verschlug. Aber das wäre nicht die Wahrheit. Mein Herz pochte mir nicht bis zum Hals, und es blieb auch nicht stehen, und es setzte auch nicht einen Schlag aus. Das sind so die Dinge, die in Geschichten immer behauptet werden. Törichter Unfug. Übertreibungen. Schund. Aber …
    Geht an einem der ersten Wintertage hinaus, nach den ersten kräftigen Frösten. Sucht euch einen Weiher mit einer dünnen Eisschicht, die noch ganz frisch und glasklar ist. In Ufernähe wird das Eis euch tragen. Dann gleitet weiter hinaus, und weiter. Schließlich werdet ihr an eine Stelle kommen, an der die Eisschicht euch geradenoch trägt. Und dort werdet ihr empfinden, was ich empfand. Das Eis bricht unter euren Füßen weg. Ihr blickt nach unten und seht die weißen Risse, die spinnennetzförmig durchs Eis schießen. Es ist ganz still, aber durch eure Schuhsohlen spürt ihr das plötzliche Beben.
    Das geschah, als Denna mich anlächelte. Ich will damit nicht sagen, dass ich mich fühlte, als stünde ich auf dünnem, wegbrechendem Eis. Ich fühlte mich wie das Eis selbst, mit einem Mal von Rissen durchzogen, die von der Stelle auf meiner Brust ausgingen, an der sie mich berührt hatte. Das Einzige, was mich noch zusammenhielt, war der Umstand, dass Abertausende Einzelstücke einander stützten. Wenn ich mich bewegt hätte, so fürchtete ich, wäre ich in tausend Teile zersprungen.
    Vielleicht genügt es auch zu sagen, dass mich ein Lächeln gefangen nahm. Das klingt zwar auch wie aus irgendeiner Geschichte, kommt der Wahrheit aber sehr nahe.
    Das Sprechen ist mir nie schwer gefallen. Eher im Gegenteil: Oft rede ich viel zu freimütig daher, und das hat dann peinliche Konsequenzen. Vor Denna jedoch war ich vollkommen sprachlos. Beim besten Willen brachte ich kein vernünftiges Wort heraus.
    Ohne darüber nachzudenken, kamen die ganzen höfischen Manieren zum Vorschein, die mir meine Mutter eingepaukt hatte. Ich nahm Dennas ausgestreckte Hand in die meine, als hätte sie sie mir gegeben. Dann trat ich einen halben Schritt zurück und machte eine vornehme Verbeugung. Mit der freien Hand ergriff ich gleichzeitig den Saum meines Umhangs und raffte ihn nach hinten.
    Was jetzt? Gemäß den Umgangsformen ein Handkuss. Aber welche Art von Kuss war in dieser Situation

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