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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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angemessen? In Atur senkte man lediglich den Kopf über die Hand. Kealdische Damen, wie die Tochter des Geldverleihers, mit der ich kurz zuvor gesprochen hatte, erwarteten, dass man mit den Lippen zart über ihre Fingerknöchel strich und dabei ein Kussgeräusch von sich gab. Und in Modeg presste man in Wirklichkeit die Lippen auf den Rücken des eigenen Daumens.
    Aber wir waren hier im Commonwealth, und Denna sprach mit keinem ausländischen Akzent. Ein ganz normaler Kuss also. Ich berührte für die Dauer eines kurzen Atemzugs mit den Lippen ihrenHandrücken. Ihre Haut war warm und duftete ein wenig nach Heidekraut.
    »Stets zu Diensten, meine Dame«, sagte ich, richtete mich wieder auf und ließ ihre Hand los. Zum ersten Mal verstand ich den Sinn dieser formellen Begrüßung. Sie boten einem ein Verhaltensmuster für Situationen, in denen man absolut keine Ahnung hatte, was man sagen sollte.
    »Meine Dame?«, erwiderte Denna und klang ein klein wenig erstaunt. »Also gut, wenn du darauf bestehst.« Sie ergriff mit einer Hand ihr Kleid und machte einen Knicks, und irgendwie gelang es ihr, es gleichzeitig anmutig, spielerisch und spöttisch wirken zu lassen. »Deine Dame.« Als ich ihre Stimme hörte, wusste ich, dass meine Vermutungen zutrafen. Sie war meine Aloine.
    »Was machst du denn hier oben ganz alleine?«, fragte Denna und sah sich auf dem zweiten Rang um. »Bist du überhaupt allein?«
    »Ich war allein«, sagte ich. Und da mir nun nichts mehr einfiel, zitierte ich aus dem eben gesungenen Lied. »Doch nun steht unerwartet Aloine an meiner Seite.«
    Sie lächelte geschmeichelt. »Aber wieso unerwartet?«, fragte sie.
    »Ich dachte, du wärst schon gegangen.«
    »Das war knapp«, erwiderte Denna neckisch. »Zwei Stunden lang habe ich darauf gewartet, dass mein Savien zu mir kommt.« Sie seufzte in tragischem Ton und setzte den Blick einer Heiligenstatue auf. »Schließlich, der Verzweiflung nah, beschloss ich, diesmal auf die alte Geschichte zu pfeifen und Aloine die Suche übernehmen zu lassen.« Sie lächelte schalkhaft.
    »Waren wir dunkle Schiffe bei Nacht …«, zitierte ich.
    »… die einander unbemerkt passierten«, ergänzte Denna.
    »Felwards Fall«, sagte ich mit größtem Respekt. »Das Stück kennen aber wirklich nicht viele Leute.«
    »Ich bin ja auch nicht viele Leute«, erwiderte sie.
    »Diese Tatsache werde ich von nun an niemals außer Acht lassen«, sagte ich und verneigte mich übertrieben ehrerbietig. Denna schnaubte. Ich ging nicht darauf ein und sagte in ernsterem Ton: »Ich kann dir gar nicht genug dafür danken, dass du mir heute Abend geholfen hast.«
    »Kannst du nicht?«, erwiderte sie. »Na, das ist aber schade. Wie sehr kannst du mir denn danken?«
    Ohne darüber nachzudenken, griff ich zum Revers meines Umhangs und löste das Abzeichen. »Nur so weit«, sagte ich und hielt es ihr hin.
    »Ich …« Denna zögerte bestürzt. »Das ist doch nicht dein Ernst.«
    »Ohne dich hätte ich es nicht errungen«, sagte ich. »Und etwas anderes Wertvolles besitze ich nicht – es sei denn, du möchtest meine Laute haben.«
    Dennas dunkle Augen betrachteten mein Gesicht, so als wüsste sie nicht recht, ob ich mich über sie lustig machte oder nicht. »Ich glaube nicht, dass man sein Abzeichen überhaupt verschenken darf …«
    »Doch, ich darf das«, sagte ich. »Stanchion hat gesagt, wenn ich es verliere oder verschenke, müsste ich mir ein Neues verdienen.« Ich nahm ihre Hand, öffnete sie und legte das silberne Abzeichen hinein. »Das bedeutet, dass ich damit tun kann, was ich möchte, und ich möchte es dir gerne schenken.«
    Denna starrte das Abzeichen in ihrer Hand an und betrachtete mich daraufhin sehr aufmerksam, so als hätte sie mich bis dahin gar nicht richtig wahrgenommen. Einen Moment lang war ich mir meiner äußeren Erscheinung schmerzlich bewusst. Mein Umhang war abgetragen, und obwohl ich meine besten Kleider anhatte, lief ich doch praktisch in Lumpen herum.
    Sie sah wieder auf ihre Hand und schloss langsam die Finger um das Abzeichen. Dann sah sie mich mit unergründlicher Miene an. »Ich glaube, du bist ein wunderbarer Mensch«, sagte sie.
    Ich wollte etwas erwidern, aber Denna kam mir zuvor. »Aber«, sagte sie, »das wäre ein zu großer Dank für die Hilfe, die ich dir erwiesen habe. Da stünde ich anschließend in deiner Schuld.« Sie nahm meine Hand und drückte das Abzeichen hinein. »Und ich hätte es lieber, dass du mir zu etwas verpflichtet bist.«
    Auf

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