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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Bedürfnis, zur Universität zurückzulaufen. Ich wusste nur zu gut, dass man säumige Studenten bestrafte, indem man ihnen für das nächste Trimester höhere Studiengebühren aufbrummte.
    Um mich mit etwas zu beschäftigen, während ich meine Lage überdachte, holte ich meinen Umhang und nahm Nadel und Faden zur Hand. Der Dolch hatte einen etwa zwei Handspannen breiten Schnitt hinterlassen. Ich flickte die Stelle mit kleinen Stichen, so dass die Naht möglichst unauffällig blieb.
    Und während meine Hände arbeiteten, schweiften meine Gedanken ab. Konnte ich Ambrose stellen? Konnte ich ihm drohen? Wahrscheinlich nicht. Er wusste, dass ich nichts gegen ihn in der Hand hatte. Aber vielleicht konnte ich einige der Meister davon überzeugen, was wirklich geschehen war. Kilvin wäre außer sich vor Empörung, wenn er erfuhr, dass die Attentäter einen Wünschelkompass verwendet hatten, und Arwyl …
    »… blaue Flammen. Alle Mann tot, wie Puppen hin und her geschleudert, und das Haus völlig in Trümmern. Ich bin froh, dass ich da nicht eingeladen war, das kann ich dir sagen.«
    Ich stach mir mit der Nadel in den Finger, als ich diesen Gesprächsfetzen aufschnappte. Ein paar Tische weiter saßen zwei Männer beim Bier. Der eine war groß und hatte eine Halbglatze, der andere war dick und hatte einen roten Bart.
    »Du bist echt so ein richtiges Waschweib«, sagte der Dicke und lachte. »Du hörst dir jeden Klatsch und Tratsch an.«
    Der Große schüttelte ernst den Kopf. »Ich war dort in der Schenke, als die Nachricht kam. Sie haben Leute zusammengetrommelt, die einen Wagen hatten, damit sie die Leichen bergen konnten. Die komplette Hochzeitsgesellschaft mausetot. Über dreißig Leute, abgestochen wie die Schweine, und dann haben sie das Haus niedergebrannt, mit blauen Flammen. Und das war noch nicht mal das einzige Seltsame daran, was ich so mitbekommen habe …« Er sprach leiser weiter, und in dem sonstigen Lärm im Schankraum konnte ich ihn nicht mehr verstehen.
    Ich schluckte gegen die plötzliche Trockenheit in meiner Kehle an. Ich setzte den letzten Stich und vernähte den Faden. Dann legte ich den Umhang beiseite, sah, dass mein Finger blutete, und steckte ihn mir in den Mund. Ich atmete tief durch und trank einen Schluck.
    Dann ging ich zu dem Tisch hinüber, an dem die beiden Männer saßen. »Seid ihr zufällig flussabwärts unterwegs?«, fragte ich.
    Sie hoben den Blick, offensichtlich gereizt, dass ich sie unterbrach. Der Kahlköpfige nickte.
    »Über Marrow?«, fragte ich und pickte auf gut Glück eine Stadt im Norden heraus.
    »Nein«, erwiderte der Dicke. »Wir kommen aus Trebon.«
    »Oh, wie schön«, sagte ich und überlegte mir hektisch eine plausibel klingende Lüge. »Ich habe Familie da oben, und ich will sie besuchen.« Ich geriet ins Stocken und überlegte krampfhaft, wie ich mich nach den weiteren Einzelheiten der Geschichte erkundigen konnte, die ich mit angehört hatte.
    Meine Handflächen waren klitschnass. »Steht dort das Erntefest denn noch an, oder habe ich es schon verpasst?«, schloss ich ausgesprochen lahm.
    »Das steht noch an«, sagte der Kahlköpfige und drehte mir demonstrativ die Schulter zu.
    »Ich habe gehört, da oben soll es bei einer Hochzeit einen Unglücksfall gegeben haben …«
    Der Kahlköpfige wandte sich wieder um und sah mich an. »Ich weiß nicht, wo du das gehört haben willst. Die Nachricht kam gestern Abend, und wir haben erst vor zehn Minuten hier angelegt.« Er sah mich scharf an. »Junge, ich weiß nicht, was du hier für ein Spielchen spielst, aber ich spiele da nicht mit. Zieh Leine, sonst gibt’s was auf’s Maul.«
    Ich ging zurück an meinen Tisch. Das hatte ich verpatzt. Als ich mich hinsetzte, legte ich die Hände flach auf die Tischplatte, damit sie nicht zitterten. Eine Gruppe von Menschen brutal ermordet. Blaues Feuer. Seltsame Vorgänge …
    Die Chandrian.
    Am Abend zuvor waren die Chandrian in Trebon gewesen.

    Ich trank meinen Saft aus, mehr aus einem Reflex heraus als aus Durst, stand auf und ging zum Tresen.
    Nun wurde mir klar, worum es hier ging: Nach all den Jahren bot sich mir endlich die Gelegenheit, etwas über die Chandrian zu erfahren. Und es ging nicht darum, dass sie in irgendeinem Buch in der Universitätsbibliothek erwähnt wurden. Ich hatte die Chance, mir ihr Werk mit eigenen Augen anzusehen. Das war eine Gelegenheit, die vielleicht nie wiederkam.
    Aber ich musste schnell nach Trebon, solange den Leuten die Ereignisse noch

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