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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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ebbte ab, und die Schnittwunde an meiner Seite fing wieder an zu schmerzen.
    Ich atmete tief durch und versuchte mich zu konzentrieren. Bis dahin hatte ich mich auf meine Instinkte verlassen, nun aber musste ich sorgfältig über die Dinge nachdenken.
    Konnte ich die Meister um Hilfe bitten? Für einen Moment keimte Hoffnung in mir auf, doch sie hielt nicht lange. Nein. Ich konnte nicht beweisen, dass Ambrose dahinter steckte. Und wenn ich ihnen die ganze Geschichte erzählte, musste ich auch gestehen, dass ich die Sympathie dazu genutzt hatte, die Angreifer zu verbrennen und zu blenden. Ob Notwehr oder nicht, das war zweifellos ein strafwürdiges Vergehen. Studenten waren schon für geringere Fehltritte von der Universität verwiesen worden, nur um den guten Ruf des Instituts zu wahren.
    Nein. Ich konnte nicht riskieren, dass sie mich wegen dieser Geschichte rauswarfen. Und wenn ich zur Mediho ging, würde es zu viele Fragen geben. Wenn ich die Wunde dort nähen ließ, würde sich herumsprechen, dass ich verletzt war. Damit würde Ambrose erfahren, wie nah er seinem Ziel gekommen war. Nein, es wäre besser, den Eindruck zu vermitteln, dass ich es unversehrt überstanden hatte.
    Ich hatte keine Ahnung, wie lange Ambroses Schergen mir schon folgten. Der eine hatte gesagt: »Er ist uns schon zweimal entwischt.« Das bedeutete, dass sie womöglich wussten, dass ich hier im Anker’s wohnte. Ich war hier möglicherweise nicht mehr sicher.
    Ich verriegelte das Fenster und zog den Vorhang zu, bevor ich meine Handlampe anschaltete. In ihrem Licht erblickte ich das Stück Papier, das in der Fensterritze gesteckt hatte. Ich faltete es auseinander und las:
    Lieber Kvothe,
    hier heraufzuklettern, macht tatsächlich genauso viel Spaß, wie es bei dir ausgesehen hat. Aber dein Fenster aufzubekommen, war gar nicht so einfach. Da ich dich nicht angetroffen habe, hoffe ich, dass du nichts dagegen hast, dass ich mir ein wenig Papier und Tinte borge, um dir diesen Brief zu hinterlassen. Und da du weder unten aufspielst noch hier oben friedlich im Bett liegst, könnte man sich, wenn man böswillig wäre, fragen, was du zu so später Stunde noch treibst und ob du womöglich etwas Zwielichtiges unternimmst. Ach je, jetzt muss ich heute Abend allein nach Hause gehen, ohne dass du mich begleitest und ich mich an deiner Gesellschaft erfreuen könnte.
    Ich habe dich am vergangenen Felling im Eolian vermisst. Sehr schade, dass wir uns nicht gesehen haben. Dafür hatte ich aber das Glück, dort jemand Interessantes kennen zu lernen. Es ist ein ziemlich einzigartiger Mensch, und ich muss dir unbedingt das wenige, was ich über ihn weiß, erzählen. Wenn wir uns wieder sehen.
    Ich bin jetzt im Schwan in Imre abgestiegen. Bitte besuche mich dort noch vor dem 23. dieses Monats, dann holen wir unser Mittagessen nach. Anschließend werde ich in Geschäften unterwegs sein.
    Deine Freundin und angelernte Einbrecherin
    Denna
    PS: Sei bitte versichert, dass ich nicht bemerkt habe, in welch scheußlichem Zustand sich deine Bettwäsche befindet, und daraus keinesfalls auf deinen Charakter schließen werde.
    Heute war der 28. Der Brief war nicht datiert, hatte aber wahrscheinlich mindestens anderthalb Spannen am Fenster gesteckt. Sie musste ihn einige Tage nach dem Brand im Handwerkszentrum dort hinterlassen haben.
    Ich überlegte kurz, wie ich das einschätzte. War ich geschmeichelt, weil sie versucht hatte, mich zu finden? War ich wütend, dass ich den Brief nicht schon früher bemerkt hatte? Und was den Mann anging, den sie da kennengelernt hatte …
    Das war alles in diesem Moment viel zu viel für mich – erschöpft, verletzt und immer noch ein wenig betrunken, wie ich war. Anstatt mich damit auseinanderzusetzen, säuberte ich die Schnittwunde, sogut es ging, an meinem Waschbecken. Ich hätte sie selbst genäht, kam aber nicht gut genug dran. Die Wunde fing wieder an zu bluten, und ich schnitt die nicht ganz so schmutzigen Partien meines ruinierten Hemdes ab und improvisierte daraus einen Verband.
    Blut. Die Männer, die versucht hatten, mich umzubringen, hatten immer noch den Wünschelkompass, und zweifellos war auf der Dolchklinge etwas Blut von mir. Blut wäre bei so einem Kompass ein viel besserer Indikator als nur ein Haar, und das bedeutete, dass sie mich, selbst wenn sie bisher nicht wussten, wo ich wohnte, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen leicht finden konnten.
    Ich hastete in meinem Zimmer hin und her und stopfte, weil ich nicht wusste,

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