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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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lockern. Als ich über die Hügelkuppe kam, sah ich Trebon vor mir in einer Talmulde. Es war keine große Ortschaft, vielleicht hundert Gebäude an einem Dutzend gewundener, unbefestigter Straßen.
    In meinen Jahren bei der Truppe hatte ich gelernt, Ortschaften einzuschätzen. Das ist so ähnlich wie das »Lesen« des Publikums, wenn man in einem Wirtshaus auftritt. Das Risiko ist natürlich größer, denn wenn man in einer Schenke das falsche Lied spielt, wird man wahrscheinlich nur ausgepfiffen, wenn man aber einen ganzen Ort falsch einschätzt, kann das sehr viel unangenehmere Konsequenzen haben.
    Also schätzte ich Trebon ein. Der Ort war abgelegen, einerseits Bergbaustadt, andererseits eher landwirtschaftlich orientiert. EinFremder erregte hier nicht sofort Argwohn, aber der Ort war doch so klein, dass jeder auf Anhieb bemerkte, wenn man nicht von hier war.
    Zu meinem Erstaunen sah ich, dass die Leute vor ihren Häusern mit Stroh gefüllte Butzemannpuppen aufgebaut hatten. Das bedeutete, dass ich hier, trotz der Nähe zu Imre und zur Universität, in der tiefsten Provinz war. Jede Ortschaft feierte im Herbst Erntedank, aber die meisten begnügten sich heutzutage damit, ein großes Feuer abzubrennen und sich zu betrinken. Dass die Leute hier in Trebon noch den alten Traditionen anhingen, bedeutete, dass sie hier wohl auch abergläubischer waren, als ich gedacht hätte.
    Trotzdem sah ich diese Butzemänner gern, denn ich habe ein Faible für traditionelle Erntedankfeste, inklusive der abergläubischen Bräuche. Im Grunde ist das Ganze ja auch nur eine Art Theater.
    Die Tehlanerkirche war das schönste Gebäude der Stadt, drei Geschosse hoch und aus Steinquadern errichtet. Das war nicht weiter ungewöhnlich, aber über dem Eingangsportal hing eines der größten Eisenräder, das ich je gesehen hatte. Und es war tatsächlich aus Eisen und nicht aus lackiertem Holz. Es hatte einen Durchmesser von über drei Metern und musste wohl eine Tonne wiegen. Normalerweise hätte mich so etwas nervös gemacht, aber da Trebon eine Bergbaustadt war, hielt ich es eher für einen Ausdruck von Bürgerstolz als von fanatischer Frömmigkeit.
    Die anderen Gebäude waren größtenteils eingeschossige Holzhäuser mit Schindeldächern. Das zweigeschossige Wirtshaus machte einen soliden Eindruck, mit verputzten Wänden und roten Tonziegeln auf dem Dach. Dort gab es bestimmt jemanden, der mehr über die Hochzeit wusste.
    Im Schankraum hielten sich kaum eine Handvoll Leute auf, was mich nicht weiter verwunderte, denn es war mitten in der Erntezeit und noch fünf, sechs Stunden bis Sonnenuntergang. Ich machte ein besorgtes Gesicht und ging an den Tresen, wo der Wirt stand.
    »Entschuldigt bitte«, sagte ich. »Ich störe wirklich nur ungern, aber ich suche jemanden.«
    Der Wirt war ein finster dreinblickender Mann mit dunklem Haar. »Und wen?«
    »Meine Kusine war zu einer Hochzeit hier«, sagte ich. »Und ich habe gehört, da soll irgendwas vorgefallen sein.«
    Bei dem Wort Hochzeit versteinerte sich die Miene des Wirts. Ich bemerkte, dass die beiden Männer am anderen Ende des Tresens ganz bewusst nicht in unsere Richtung blickten. Dann stimmte es also. Irgendetwas Schreckliches war geschehen.
    Der Wirt streckte eine Hand aus und drückte die Fingerspitzen auf den Tresen. Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, dass er den eisernen Kopf eines ins Holz getriebenen Nagels berührte. »Schlimme Sache«, sagte er kurz angebunden. »Nichts, worüber ich reden möchte.«
    »Bitte«, sagte ich und klang jetzt sehr besorgt. »Ich habe Verwandte in Temfalls besucht, als das Gerücht aufkam, dass hier etwas geschehen sei. Alle sind vollauf mit der Weizenernte beschäftigt, und deshalb habe ich versprochen, hier heraufzukommen und zu sehen, was los ist.«
    Der Wirt musterte mich von Kopf bis Fuß. Einen Schaulustigen hätte er fortschicken können, aber er konnte mir nicht das Recht verwehren zu erfahren, was mit einer nahen Verwandten passiert war. »Oben ist ein Mädchen«, sagte er. »Die ist nicht von hier. Vielleicht ist sie deine Kusine.«
    Eine Zeugin! Ich setzte schon an, die nächste Frage zu stellen, aber er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nichts darüber«, sagte er mit Bestimmtheit. »Und ich will auch nichts wissen.« Er wandte sich ab und machte sich an den Zapfhähnen seiner Bierfässer zu schaffen. »Erster Stock, am Ende des Flurs, die linke Tür.«
    Ich ging durch den Schankraum und stieg die Treppe hinauf. Jetzt versuchten

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