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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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alle, mich möglichst zu ignorieren, das spürte ich. Das Schweigen und der Tonfall des Wirts ließen darauf schließen, dass diejenige, die dort oben war, nicht nur zur Hochzeitsgesellschaft gehört hatte, sondern womöglich auch die einzige Überlebende war.
    Ich gelangte zum Ende des Flurs und klopfte an die Tür, erst leise, dann etwas lauter. Dann öffnete ich die Tür vorsichtig, um niemanden zu erschrecken.
    Es war ein schmales Zimmer mit einem schmalen Bett, auf demeine Frau lag, voll bekleidet, einen Arm bandagiert. Sie hatte das Gesicht zum Fenster gewandt, und so sah ich sie nur im Profil.
    Trotzdem erkannte ich sie auf Anhieb. Es war Denna!
    Sie sah sich zu mir um und bekam große Augen, und dieses eine Mal fehlten ihr die Worte.
    »Ich hab gehört, dass du in Schwierigkeiten steckst«, sagte ich wie beiläufig. »Und da dachte ich, schau ich mal vorbei und helfe, wenn ich kann.«
    Sie kniff die Augen zusammen. »Du lügst«, sagte sie und verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln.
    »Das stimmt«, gestand ich, »aber es ist eine lässliche Lüge.« Ich betrat das Zimmer und schloss die Tür hinter mir. »Ich wäre gekommen, wenn ich es gewusst hätte.«
    »Wenn er es gewusst hätte, hätte jeder kommen können«, sagte sie abschätzig. »Aber hierher zu kommen, ohne davon zu wissen –, das erfordert schon einen ganz besonderen Mann.« Sie setzte sich auf und schwang die Beine vom Bett.
    Jetzt sah ich, dass sie neben dem verbundenen Arm auch einen Bluterguss an der Schläfe hatte. Ich ging noch einen Schritt auf sie zu. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    »Nein«, erwiderte sie freimütig. »Aber es könnte mir auch sehr viel schlechter gehen.« Dann stand sie langsam auf, so als wäre sie sich nicht ganz sicher, ob ihre Füße sie tragen würden. Sie ging vorsichtig zwei Schritte und schien mehr oder weniger zufrieden. »Gut. Ich kann gehen. Wir müssen so schnell wie möglich fort von hier.«

Kapitel 72
    Borrorill

    A ls Denna ihr Zimmer verließ, ging sie nach links, nicht nach rechts zum Ausgang. Erst dachte ich, sie hätte die Orientierung verloren, doch als wir zu einer Hintertreppe kamen, wurde mir klar, dass sie das Wirtshaus verlassen wollte, ohne durch den Schankraum zu gehen. Wir fanden den Hinterausgang, aber er war fest verschlossen.
    Wir versuchten also doch vorne hinauszugehen. Als wir den Schankraum betraten, war deutlich zu spüren, wie sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf uns richtete. Denna ging schnurstracks auf den Ausgang zu, nicht schnell, aber so unaufhaltsam wie eine Gewitterwolke.
    Als wir fast an der Türe waren, rief der Wirt: »He! Hiergeblieben!«
    Dennas Blick glitt zur Seite. Ihr Mund wurde zu einem schmalen Strich, und sie ging weiter, als ob sie nichts gehört hätte.
    »Ich kümmere mich darum«, sagte ich leise. »Warte auf mich. Ich komme gleich nach.«
    Ich ging auf den Wirt zu, der immer noch mit grimmiger Miene dastand. »Dann ist sie also deine Kusine?«, fragte er. »Hat der Wachtmeister denn gesagt, dass sie gehen kann?«
    »Ich dachte, Ihr wolltet nichts damit zu tun haben«, erwiderte ich.
    »Das will ich auch nicht. Aber sie hatte hier ein Zimmer, und sie hat zu essen bekommen, und ich habe den Arzt kommen lassen, der sie wieder zusammengeflickt hat.«
    Ich musterte ihn mit kühlem Blick.
    »Wenn es in dieser Stadt einen Arzt gibt, der auch nur halbwegs etwas taugt, bin ich der König von Vint.«
    »Insgesamt ist ein halbes Talent offen«, beharrte er. »Verbandszeug gibt’s nicht umsonst, und ich habe eine Frau an ihrem Bett wachen lassen, bis sie wieder zu sich gekommen ist.«
    Ich bezweifelte stark, dass auch nur halb so viel Geld zu verlangen war, wollte aber auch keine Scherereien mit dem Wachtmeister. Und vor allem wollte ich nicht aufgehalten werden. Wie ich Denna kannte, musste ich mir Sorgen machen, dass sie, wenn ich sie länger als eine Minute aus den Augen ließ, verschwunden wäre wie der Morgennebel.
    Ich nahm fünf Jots aus meinem Geldbeutel und warf sie auf den Tresen. »Aus dem Unglück anderer Leute Profit schlagen … Feine Sitten sind das«, bemerkte ich bissig und ging hinaus.
    Ich war sehr erleichtert, als ich Denna draußen warten sah. Sie lehnte an einem Pfahl, hatte die Augen geschlossen und das Gesicht der Sonne zugewandt. Als sie mich kommen hörte, seufzte sie zufrieden und drehte sich zu mir um.
    »War es so schlimm?«, fragte ich.
    »Erst waren sie noch ganz nett«, erwiderte Denna und hob die bandagierten Arme. »Aber

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