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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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dann ist immer wieder diese alte Frau ins Zimmer gekommen.« Sie runzelte die Stirn und strich sich das lange schwarze Haar aus dem Gesicht. Dabei kam der Bluterguss zum Vorschein, der sich von der Schläfe bis zum Haaransatz erstreckte. »Du kennst den Typ: So eine verkniffene alte Jungfer mit einem Mund, der aussieht wie ein Katzenpo.«
    Ich lachte laut auf, und Dennas Lächeln war wie die Sonne, die hinter einer Wolke hervorlugt. Dann verdüsterte sich ihre Miene wieder. »Sie hat mich immer so angeschaut. Als wäre es unanständig von mir, dass ich nicht zusammen mit den anderen ums Leben gekommen bin. So als wäre ich an allem Schuld.«
    Denna schüttelte den Kopf. »Aber die alten Männer waren noch schlimmer. Der Wachtmeister hat mir eine Hand aufs Bein gelegt.« Sie schauderte. »Sogar der Bürgermeister war da und hat ganz besorgt getan. Dabei wollte er mich in Wirklichkeit bloß aushorchen. ›Was hast du da gemacht? Was ist passiert? Was hast du gesehen …?‹«
    Die Verachtung, mit der sie das sagte, führte dazu, dass ich meine eigenen Fragen, die mir schon auf der Zunge lagen, ganz schnell wieder hinunterschluckte. Fragen zu stellen entspricht meinem Naturell, und der Sinn und Zweck dieses ganzen Gewaltritts hatte schließlich darin bestanden, aufzuklären, was geschehen war. Doch Dennas Tonfall ließ erkennen, dass sie im Moment keine Fragen beantworten wollte.
    Ich richtete den Trageriemen meines Reisesacks, und da fiel mir plötzlich etwas ein. »Warte mal. Deine Sachen. Die sind alle noch in deinem Zimmer.«
    Denna zögerte nur einen Wimpernschlag lang. »Ich glaube nicht, dass ich irgendwelche Sachen da hatte«, sagte sie, als hätte sie überhaupt noch nicht daran gedacht.
    »Willst du nicht vielleicht doch zurückgehen und nachsehen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich muss fort, hier bin ich nicht willkommen«, sagte sie trocken. »Alles weitere ergibt sich unterwegs.«
    Denna ging die Straße hinab, und ich schloss mich ihr an. Sie bog in eine schmale Seitenstraße, die in Richtung Westen führte. Wir kamen an einer alten Frau vorbei, die gerade einen aus Hafergarben gefertigten Butzemann aufhängte. Er trug einen Strohhut und eine Hose aus Sackleinen. »Wohin gehen wir?«, fragte ich.
    »Ich muss nachsehen, ob meine Sachen noch auf der Mauthen-Farm sind«, erwiderte Denna. »Danach können wir weitersehen. Wohin wolltest du denn, bevor du mich gefunden hast?«
    »Ehrlich gesagt, war ich selber zur Mauthen-Farm unterwegs.«
    Sie sah mich von der Seite an. »Gut. Sie liegt nur etwa eine Meile außerhalb der Stadt. Wenn wir dort ankommen, steht die Sonne noch hoch am Himmel.«
    Das Land rings um Trebon besteht größtenteils aus dichten Wäldern, die hin und wieder von felsigem Gelände unterbrochen sind. Wir kamen um eine Wegbiegung und erblickten kleine, goldene Weizenfelder, gesäumt von Bäumen und dunklen Steilhängen. Die Bauern und Landarbeiter, die dort die Ernte einbrachten, waren über und über mit Spreu bedeckt, und ihren Bewegungen sah man eine Erschöpfung an, die sich aus dem Wissen speiste, dass das halbe Tagewerk noch vor ihnen lag.
    Wir waren erst ein paar Minuten gegangen, als ich hinter uns Hufgetrappel hörte. Ich blickte mich um und sah einen kleinen, offenen Karren die Straße heraufkommen. Denna und ich wichen ins Gestrüpp aus, denn die Straße war kaum breit genug für den Karren. Auf dem Bock saß ein abgehärmter Bauer tief über die Zügel gebeugt und beäugte uns argwöhnisch.
    »Wir wollen zur Mauthen-Farm«, rief Denna, als er näher kam. »Dürfen wir vielleicht mitfahren?«
    Der Mann blickte missmutig drein und wies dann mit einer Kopfbewegung auf das Heck seines Karrens.
    »Ich fahre aber nur bis zum Borrorill. Von da müsst ihr alleine weiter.«
    Wir setzten uns hinten auf die Ladefläche und ließen die Füße baumeln. Dabei kamen wir zwar nicht viel schneller voran als zu Fuß, aber es war angenehm, sich zur Abwechslung ein wenig kutschieren zu lassen.
    So fuhren wir schweigend dahin. Denna war offensichtlich nicht dazu aufgelegt, sich zu unterhalten, solange der Bauer mithören konnte, und ich war froh über die Gelegenheit zum Nachdenken. Ich hatte vorgehabt, alle möglichen Lügen aufzutischen, um den Zeugen Informationen zu entlocken. Mit Denna war alles viel komplizierter. Ich wollte sie nicht belügen, konnte aber auch nicht riskieren, ihr allzu viel zu erzählen. Auf keinen Fall wollte ich mit wilden Geschichten über die Chandrian bei ihr den

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