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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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gelernt hätte.
    »Was ihr nicht versteht«, erklärte ich Simmon eines Nachmittags, als wir unter dem Fahnenmast saßen, »ist, dass sich ständig Männer in Denna verlieben. Kannst du dir vorstellen, wie das für sie sein muss? Wie ermüdend und lästig? Ich bin einer der wenigen Freunde, die sie hat. Und das will ich nicht aufs Spiel setzen. Ich werde mich ihr nicht an den Hals werfen. Sie will das nicht. Ich werde keiner der unzähligen Freier sein, die sie anschmachten wie liebeskranke Schafböcke.«
    »Ich verstehe bloß nicht, was du in ihr siehst«, erwiderte Sim vorsichtig. »Ich weiß, sie ist bezaubernd. Eine faszinierende Frau. Aber andererseits kommt sie mir auch recht –« Er zögerte. »– grausam vor.«
    Ich nickte. »Ja, das ist sie.«
    Simmon sah mich erwartungsvoll an und fragte schließlich: »Was ist? Verteidigst du sie gar nicht?«
    »Nein. Grausam trifft es ganz gut. Aber ich glaube, wenn du grausam sagst, meinst du damit etwas anderes. Denna ist kein schlechter Mensch. Sie ist nicht gemein oder gehässig. Sie ist grausam.«
    Sim schwieg eine ganze Weile. Dann sagte er: »Ich glaube, sie ist eventuell doch etwas davon, und grausam ist sie außerdem.«
    Der gute, aufrichtige, sanftmütige Sim. Er brachte es nie fertig, etwas Schlechtes über einen anderen Menschen zu sagen. Er deutete es nur an. Und selbst das fiel ihm schwer.
    Er sah mich an. »Ich habe mit Sovoy gesprochen. Er ist immer noch nicht über sie hinweg. Er hat sie wirklich geliebt. Er hat sie wie eine Prinzessin behandelt, hat sie förmlich auf Händen getragen. Er hätte alles für sie getan. Aber sie hat ihn einfach so verlassen, ohne eine Erklärung.«
    »Denna ist ein wildes Wesen«, sagte ich. »Wie eine Hindin oder ein Sommersturm. Wenn ein Sturm dein Haus fortfegt oder einen Baum entwurzelt, sagst du ja auch nicht, der Sturm sei gemein gewesen. Er war grausam. Er verhielt sich seinem Wesen entsprechend, und dabei wurde bedauerlicherweise etwas beschädigt. Genauso ist es auch mit Denna.«
    »Was ist eine Hindin?«
    »Eine Hirschkuh. Ein wildes Tier. Und weißt du, was es bringt, einem wilden Tier nachzujagen? Gar nichts. Damit verscheuchst du die Hindin nur. Nein, man bleibt besser, wo man ist, und hofft darauf, dass die Hindin eines Tages von sich aus zu einem kommt.«
    Sim nickte, aber ich merkte, dass er es eigentlich nicht verstanden hatte.
    »Wusstest du, dass man diesen Ort hier früher das Fragenhaus genannt hat?«, sagte ich und wechselte damit das Thema. »Die Studenten schrieben Fragen auf kleine Zettel und ließen sie dann hier vom Wind hin und her wehen. Und die Antwort ergab sich daraus, auf welchem Weg der Zettel den Hof verließ.« Ich wies auf die Lücken zwischen den grauen Gebäuden, auf die Elodin mich aufmerksam gemacht hatte. »Ja. Nein. Vielleicht. Woanders. Bald.«
    Der Glockenturm schlug die Stunde, und Simmon seufzte, weil er wohl spürte, dass es sinnlos war, dieses Gespräch fortzusetzen. »Spielen wir heute Abend Corners?«
    Ich nickte. Nachdem er gegangen war, griff ich in meinen Umhang und zog den Brief hervor, den Denna in meiner Fensterritze hinterlassen hatte. Ich las ihn noch einmal sehr aufmerksam. Dann riss ich am unteren Rand des Blatts vorsichtig die Stelle ab, an der sie unterschrieben hatte.
    Ich faltete den kleinen Papierstreifen mit Dennas Namen darauf zusammen, verzwirbelte ihn und ließ ihn mir von dem auf diesem Hof stets gegenwärtigen Wind aus der Hand zupfen und mit dem letzten noch verbliebenen Herbstlaub umherwirbeln.
    Der Zettel tanzte übers Kopfsteinpflaster, er drehte sich und wirbelte herum, in Mustern, die zu wild und zu vielgestaltig waren, als dass ich sie nachvollziehen konnte. Doch obwohl ich wartete, bis der Himmel dunkel wurde, trug der Wind den Zettel nicht fort. Als ich ging, tanzte meine Frage immer noch im Haus des Windes zwischen den einzelnen Antworten hin und her: Ja. Nein. Vielleicht. Woanders. Bald.

    Schließlich war da noch meine Fehde mit Ambrose. Ich saß jeden Tag wie auf glühenden Kohlen, rechnete jederzeit damit, dass er zur Vergeltung ausholen würde. Doch die Monate gingen ins Land, und nichts geschah. Irgendwann kam ich zu dem Schluss, dass er endlich seine Lektion gelernt hätte und mich künftig in Ruhe lassen würde.
    Doch das war natürlich ein Trugschluss. Ein gewaltiger Trugschluss. Ambrose hatte lediglich gelernt, den rechten Augenblick abzupassen. Er bekam schließlich seine Vergeltung, und als das geschah, traf es mich völlig

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